Am 82. Jahrestag der Novemberpogrome vom 9. November 1938 haben Politiker zum Einsatz für eine demokratische Gesellschaft aufgerufen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von der "Schande des 9. November 1938" und erinnerte an die Pogrome gegen jüdische Mitbürger, "an die Menschen, die in den Tod getrieben wurden, die brennenden Synagogen, die zerstörten Geschäfte". "Wir gedenken der Opfer des von Deutschland begangenen Menschheitsverbrechen, der Schoah, in Scham", sagte Merkel am Montag in Berlin. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, betonte im RBB-Inforadio, aus dem damaligen Versagen, der allgemeinen Gleichgültigkeit und der Unterwürfigkeit gegen Diskriminierung müssten heute die richtigen Schlüsse gezogen werden.
"Antisemitismus widerspricht allem, wofür das Christentum steht"
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, erklärte auf Facebook: "Es muss deutlich werden, dass Antisemitismus Sünde ist und allem widerspricht, wofür das Christentum steht." Es sei wichtig, Zeichen gegen einen neu aufschwellenden Antisemitismus zu setzen. Dazu solle im kommenden Jahr eine ökumenische Plakat-Kampagne der Kirchen beitragen. Die Kampagne wende sich insbesondere an die Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen. Kernanliegen der Kampagne sei es, die Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Christen in den Festen und im religiösen Leben aufzuzeigen.
Das Internationale Auschwitz Komitee erklärte, bis heute sei für jüdische Überlebende dieser Schreckensnacht die Erinnerung an die Gleichgültigkeit der allermeisten ihrer Nachbarn das Entsetzlichste, womit sie nicht fertig geworden sind. Gerade deshalb würden sie sich gegen aufflammenden antisemitischen Hass und mörderische Gewalt engagieren, erklärte der Vizepräsident des Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, in Berlin. Wegen der Corona-Pandemie fanden am Montag in vielen Orten keine öffentlichen Gedenkveranstaltungen zur Reichspogromnacht vor 82 Jahren statt.
Klein betonte, wie wichtig die Erinnerung an die Pogromnacht vor 82 Jahren sei. Das Datum veranschauliche, wie das Land damals moralisch versagt habe. Es sei wichtig, heute anders mit Diskriminierung und Ausgrenzung umzugehen. Er ermunterte Betroffene und Zeugen, antisemitische Vorfälle zu melden: "Denn nur so kann sich etwas ändern. Wir müssen das Problem sichtbar machen, um es auch als Gesellschaft zu überwinden."
Gradmesser für Zustand der Demokratie
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nannte den Umgang mit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland einen Gradmesser für den Zustand des demokratischen Gemeinwesens. Er betonte, die Verantwortung gegenüber der jüdischen Gemeinschaft sei zugleich die Verantwortung "für unser demokratisches Gemeinwesen, für den Rechtsstaat und für unser aller Freiheit". Antisemitismus und neonazistischer Terror hätten in Berlin und in ganz Deutschland keinen Platz. Dies sei die Botschaft des 9. November 1938. Antisemitische Haltungen, Propaganda und Hass besonders in sozialen Medien sowie Gewalttaten müssten entschieden verurteilt, verhindert und bekämpft werden.
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten Synagogen in ganz Deutschland. Die Nationalsozialisten gingen zur offenen Gewalt gegen Jüdinnen und Juden über, jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört, jüdische Bürger misshandelt. Es wird davon ausgegangen, dass in dieser Nacht mehr als 1.300 Menschen getötet und mindestens 1.400 Synagogen in Deutschland und Österreich stark beschädigt oder zerstört wurden.