Weimar, Hildesheim (epd). Die frühere thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (62, CDU) sieht die Kirchen nach ihrer heftigen Kritik vom Frühjahr inzwischen auf dem richtigen Kurs in der Corona-Pandemie. "Sie haben sich nach einer anfänglich zögernden Haltung ganz klar positioniert und Vorschläge gemacht für diakonische Seelsorge an Einsamen, Kranken und Sterbenden", sagte sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Das ist eine erfreuliche und ganz wichtige Entwicklung. Diesen Weg möchte ich engagiert und mit viel Zustimmung begleiten."
Lieberknecht, die selbst ausgebildete evangelische Pastorin ist, hatte im Mai deutliche Kritik an der damaligen Haltung der Kirchen zu den weitreichenden Kontaktbeschränkungen geübt. Die Kirchen hätten Hunderttausende von kranken, einsamen, alten und sterbenden Menschen im Stich gelassen, sagte sie in einem Interview der Tageszeitung "Die Welt". Der Beitrag rief heftige Gegenreaktionen hervor. Mehrere Bischöfe wiesen die Vorwürfe zurück und erklärten, Pastoren und Seelsorger seien trotz der Corona-Beschränkungen an vielen Orten für bedrängte Menschen gegenwärtig gewesen und hätten neue Formen der Kommunikation entwickelt.
Die Christdemokratin betonte nun: "Es ging mir überhaupt nicht darum, dass einzelne Seelsorger nicht genügend getan hätten. Was mir gefehlt hat, war das öffentlich vernehmbare theologische Wort der Kirchen für eine gesellschaftliche Situation, in der viele Menschen isoliert waren." Die Debatte sei damals fast ausschließlich von den Virologen bestimmt worden, die sich sehr einseitig nur auf den Gesundheitsschutz konzentriert hätten. Das Selbstbestimmungsrecht gerade von Menschen am Ende ihres Lebens sei demgegenüber wenig beachtet worden.
"Es ging mir darum, die ganzheitliche Sicht des Menschen einzubringen, der eben nicht nur vom Brot allein lebt und nicht nur vom Gesundheitsschutz allein", sagte Lieberknecht. "Was nutzt aller Gesundheitsschutz, wenn am Ende Menschen aus Einsamkeit, aus Verzweiflung, aus mangelnden sozialen Kontakten eingehen, leiden oder vielleicht sogar sterben?" Auf die Frage, ob die Kirche zu Beginn der Pandemie versagt habe, entgegnete die frühere CDU-Politikerin: "Das ist zu hart gesagt. Es sind partielle Dinge, die ich vermisst habe." Sie habe nicht damit gerechnet, "dass ich damit einen so wunden Punkt getroffen habe".
Die Kirchen stünden in der Pandemie in einer mehrfachen Verantwortung, sagte Lieberknecht weiter. Sie müssten einerseits für den gesellschaftlichen Konsens mit einstehen, dass der Gesundheitsschutz wirklich bestmöglich gewährleistet wird. "Auf der anderen Seite müssen sie in einer Zeit, in der Menschen mehr als sonst nach dem Zusammenhang von Leben und Tod und nach den Grenzen ihrer Existenz fragen, etwas verkünden, was nur sie verkünden können, nämlich die mutmachende und tröstende christliche Botschaft."