"Für die Chöre gelten immer noch die seit August geltenden Bestimmungen", sagte die Landeskantorin des Evangelischen Chorverbandes Niedersachsen-Bremen, Majka Wiechelt, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es liege in der Verantwortung der Chorleiterinnen und Leiter, ein Umfeld zu schaffen, damit die Choristen ohne Angst und Sorge singen könnten. Wichtig seien kurze Proben und einen intensive Lüftung. "Ein Fenster auf Kipp genügt nicht."
Als "dramatisch" bezeichnete Wiechelt die Auswirkungen der Pandemie auf die Kinderchöre: "Weil in den niedersächsischen Schulen nicht mehr gesungen werden darf, wird weniger Interesse bei den Kindern geweckt." Mittlerweile fehlten schon zwei Jahrgänge an Nachwuchs in den Kinderchören.
Der Landeskirchenmusikdirektor der hannoverschen Landeskirche, Hans-Joachim Rolf, rechnet nicht damit, dass in diesem Jahr größere Werke mit Orchester wie etwa das "Weihnachtsoratorium" von Johann Sebastian Bach oder der "Messias" von Georg Friedrich Händel aufgeführt werden können. "Chöre mit mehr als 30 Personen in kompakter Aufstellung kann ich mir in absehbarer Zeit nicht vorstellen." Allenfalls denkbar seien einzelne Kantaten in kleiner Besetzung, die auf die Festtage verteilt werden. Doch auch dies sei nicht überall möglich und von den örtlichen Gegebenheiten abhängig.
Ob und wie die Kultur des Chorgesanges die Pandemie überlebt, hängt aus Sicht der oldenburgischen Landesmusikdirektorin Beate Besser davon ab, ob es gelingt zu vermitteln, dass das gemeinsame Singen in jedem Fall sinnvoll und bereichernd ist, auch ohne ein großes Ziel. Dazu müssten mehr erfüllende Formate für kleinere Besetzungen etabliert werden. "Das macht mir jedoch weniger Sorge. Es gibt genug Menschen, die Chormusik - singend und hörend - lieben und jetzt schmerzlich vermissen."
Chorsingen nicht wesentlich gefährlicher als lautes Sprechen
Zudem sei ein politischer Wandel nötig, sagte Besser: "Es braucht eine Lobby, die das Chorsingen endlich aus der Superspreader-Ecke holt." Zu Beginn der Pandemie habe es die bekannten Fälle gegeben, in denen einzelne Infizierte ganze Chöre angesteckt hätten, räumte Besser ein. "Das streitet niemand ab." Doch inzwischen sei bekannt, dass Chorsingen nicht wesentlich gefährlicher sei als lautes Sprechen. "Es darf in der Politik genauso wie in der Kirche nicht unterschätzt werden, wie wichtig und tragend Chorsingen und Kultur allgemein für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind." Hier brauche es mehr Unterstützung als Restriktionen.
Auch die stellvertretende Landesmusikdirektorin der Bremischen Evangelischen Kirche, Katharina Kissling, kritisierte bezogen auf Chöre: "Singen wird derzeit schlechtgeredet." Auch sie forderte mehr Unterstützung für die Musik. Einen Abbruch der Chorkultur befürchte sie jedoch nicht. "Das Singen ist ein Grundbedürfnis des Menschen."
Anders als bei Chorgesang unter Hygieneauflagen gilt allerdings bei Gemeindegesang ohne ausreichenden Schutz das Ansteckungsrisiko als schwer kalkulierbar oder beherrschbar. So wird ein Ende September aufgetretener Corona-Ausbruch in der freikirchlichen Christengemeinde in Westertimke bei Bremen insbesondere mit Gemeindegesang in Verbindung gebracht. Auch bei dem in dieser Woche bekannt gewordenen Corona-Ausbruch im freikirchlichen Glaubenszentrum in Bad Gandersheim prüft der zuständige Landkreis Northeim, ob Gesang als Auslöser für bislang 123 bestätigte Infektionen infrage kommt.