Migrationsforscher: EU-Migrationspakt schafft keinen Neustart

Migrationsforscher: EU-Migrationspakt schafft keinen Neustart
25.09.2020
epd
epd-Gespräch: Urs Mundt

Osnabrück (epd). Der Migrationsforscher Jochen Oltmer hält den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Migrationspakt für schwer umsetzbar. "Das erfolglose Bemühen um eine gemeinsame europäische Asylpolitik in den vergangenen Jahren lässt mich zweifeln, ob der Migrationspakt die Herausforderungen bewältigen kann", sagte Oltmer dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im Grunde binde der Pakt nur bereits bestehende Regelungen neu zusammen. Er werde nicht den Neustart ermöglichen, den sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verspreche.

Die EU-Kommission hatte am Mittwoch ihre Vorschläge für eine Reform der Asyl- und Migrationspolitik vorgelegt. Sie sehen unter anderem einen neuen Mechanismus für die Verteilung Schutzbedürftiger auf die EU-Länder vor. Auch sollen Drittstaaten in Afrika und Asien eingebunden werden. Zudem sieht er die Verbindung von Entwicklungs- und Migrationspolitik vor.

Das Hauptproblem des Pakts sei nicht die Verteilung von Geflüchteten, sagte Oltmer. Problematischer sei, dass Schutzsuchende in sogenannten Grenzverfahren in internationalen Zonen auf EU-Boden vorüberprüft werden sollen. Rechtlich sollen sie dort so behandelt werden, als wären sie noch nicht in der EU. Das ihnen zustehende Recht, einen Asylantrag zu stellen, würde ihnen dort zunächst verweigert. Für Oltmer sind viele Fragen ungeklärt: "Wie lassen sich rechtsstaatliche Prinzipien in solchen Räumen ausgestalten? Wer führt dort die Verfahren durch? Lassen sich die Ergebnisse eines solchen Verfahrens vor einem Verwaltungsgericht anfechten?"

Der Migrationsforscher befürchtet zudem, dass sich die Standards lediglich am kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren würden. Die Vorstellungen darüber, wo Humanität aufhört und Unmenschlichkeit beginnt, klafften weit auseinander.

Das Grundproblem sei, dass die Migrationsgeschichten der EU-Staaten sehr verschieden sind. "Manche sind seit den 60er Jahren Einwanderungsländer, so zum Beispiel Deutschland und Frankreich, Italien oder Spanien dagegen erst seit den 90er Jahren. Länder des früheren Ostblocks haben kaum Erfahrungen mit Migration und Asyl", sagte Oltmer. Die EU solle aufhören, die Länder zu einem Kompromiss zu nötigen, der sich an Minimalstandards orientiert. "Eine Koalition der Willigen ist wahrscheinlich eher in der Lage, humanitäre und rechtsstaatliche Standards zu garantieren", sagte der Wissenschaftler.