Migrationsforscher mahnt politische Antworten auf Moria an

Migrationsforscher mahnt politische Antworten auf Moria an
09.09.2020
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Osnabrück (epd). Der Migrationsforscher Jochen Oltmer hat politische Reaktionen auf den Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos als "Nichtantwort" kritisiert. Die Forderung, die Schutzsuchenden jetzt innerhalb Europas zu verteilen, werde seit Jahren erhoben, ohne dass etwas passiert sei. "Jetzt wird das ein weiteres Mal wiederholt und niemand sagt, was konkret geschehen soll. Das ist immer wieder die alte Leier. Das ist eine Nichtantwort", sagte Oltmer im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Er halte es für wahrscheinlich, dass ein neues Lager, notfalls auf einer anderen Insel, aufgebaut werde. Die Lager nützten den EU-Staaten als Abschreckung und zur Abschottung. Sie hätten es in 30 Jahren nicht geschafft, einen Verteilmechanismus für Schutzsuchende zu etablieren, sagte der Historiker am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück. "In der Euro-Krise haben sich die Staaten zusammengerauft und einen Rettungsschirm aufgebaut. In der Flüchtlingskrise gibt es faktisch kein politisches Bemühen, keinen Rettungsschirm, keine Gelder."

Auch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft habe daran trotz vielerlei Ankündigungen bislang nichts geändert. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe den von ihr in Aussicht gestellten Asyl- und Migrationspakt noch nicht geliefert. "Europa gibt nach wie vor kein gutes Bild ab."

Eigentlich wäre es spätestens jetzt, nach dem Brand in Moria, an der Zeit, dass Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft nutze, um Initiativen zu starten, sagte Oltmer. Alle Instrumente der Flüchtlingspolitik seit Ende der 1980er Jahre, wie etwa die Dublin-Verordnungen oder der EU-Türkei-Deal hätten sich als untauglich erwiesen. Der deutliche Rückgang der Flüchtlingszahlen seit 2016 werde nur durch eine Abschottung erreicht, die der europäischen Werte nicht würdig sei, sagte der Historiker. Sie gehe auf Kosten derjenigen Menschen, die nach wie vor im Mittelmeer ertrinken und in Lagern wie Moria unter unwürdigen Bedingungen leben müssten.

Zwar sei seit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen in Deutschland der Rechtspopulismus wieder auf dem Rückzug. Aber eine Beruhigung der politischen Diskussion dürfe nicht mit Toten erkauft werden, mahnte Oltmer. Die Corona-Pandemie habe das Flüchtlingsthema vorübergehend von der Tagesordnung verdrängt. Dabei sei keines der Probleme gelöst, wie die Situation auf Moria jetzt zeige: "Europa ist weiter das Ziel von Schutzsuchenden und wird es auch bleiben."