Bonn (epd). Im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche bemühen sich nun die deutschen Ordensgemeinschaften auch um Aufklärung. Wie eine am Mittwoch in Bonn veröffentlichte Umfrage unter den Mitgliedern der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) zeigt, haben sich 1.412 Betroffene bis 2019 bei den Ordensgemeinschaften gemeldet. 654 Ordensmitglieder seien beschuldigt worden. Knapp 80 Prozent aller Beschuldigten sei bereits verstorben. 95 Beschuldigte seien bis heute Mitglied einer der Ordensgemeinschaften. 37 seien nicht mehr in einer der Gemeinschaften.
Der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, begrüßte die Veröffentlichung der Befragung. Deren Anliegen sei es gewesen, "eine differenzierte Kenntnis zu gewinnen, wie sich die Situation in den Ordensgemeinschaften darstellt, zumal diese von der MHG-Studie 2018 nicht berücksichtigt wird". Betroffene in der katholischen Kirche in Deutschland erwarteten einen einheitlichen Umgang mit diesen Fragen. Die Ergebnisse zeigten eine "ausgeprägte Ungleichzeitigkeit" im Umgang mit sexuellem Missbrauch, fügte Ackermann hinzu: "Ich bin dankbar für die insgesamt selbstkritische Auswertung der Befragung."
Die Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" forderte, alle Aktenbestände der Ordensgemeinschaften zu sichern und den Staatsanwaltschaften zur Verfügung zu stellen, sofern es einen Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch durch Angehörige dieser Gemeinschaften gibt. "Sofern dann eine Verjährung festgestellt ist, was in vielen Fällen zu erwarten ist, müssen die so gesicherten Unterlagen, einer baldigst einzurichtenden zentralen Aufarbeitungskommission zugeleitet werden", erklärte deren Sprecher Matthias Katsch.
"Die Orden müssen sich bereit erklären, an der Aufklärung und Aufarbeitung der dunklen Aspekte ihrer Vergangenheit mitzuwirken. Sollten sie sich einer Aufklärung verweigern, müsste ihnen der Status von Körperschaften öffentlichen Rechts entzogen werden", sagte Katsch. Er forderte zudem die Ordensgemeinschaften zur Entschädigung der Opfer auf.
Die Ergebnisse der Mitgliederbefragung bestätigten, dass der in den vergangenen Jahren offenbar gewordene Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche nicht nur die diözesan verfasste Kirche, sondern in erheblichem Ausmaß auch die Ordensgemeinschaften betreffe, teilte die DOK mit. Die DOK bekenne sich in diesem Zusammenhang erneut zu ihrer Verantwortung. "Brüder und Schwestern unserer Gemeinschaften haben sexuellen Missbrauch in seinen verschiedenen Formen verübt. Nicht nur diese Taten haben unsägliches Leid über die Betroffenen gebracht. Auch der Umgang von Leitungsverantwortlichen und anderen Ordensmitgliedern mit Betroffenen und ihren Berichten haben Menschen erneut verletzt, die sich durch ihre mutige Öffnung einen gemeinsamen Schritt auf ihrem Weg der Heilung erhofft hatten", sagte die DOK-Vorsitzende Katharina Kluitmann.
Der Bericht spricht den Angaben zufolge - auch mit Verweis auf die Ergebnisse der im Jahr 2018 von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten MHG-Studie - von deutlichen Schwachstellen bei den bisher getroffenen Maßnahmen und von weiterem Handlungsbedarf. Die Mitgliederbefragung richtete sich an 392 Ordensobere, von denen drei Viertel den Fragebogen zurücksandten. Die Teilnahme sei freiwillig gewesen.
Im Fokus der Befragung standen laut DOK unterschiedslos alle bei Ordensgemeinschaften eingegangenen Meldungen zu Grenzverletzungen, Übergriffen und sexuellem Missbrauch ohne Einschränkung auf einen bestimmten Zeitraum. Der Anteil der mit Missbrauchsvorwürfen konfrontierten Gemeinschaften liegt laut Bericht bei den Frauengemeinschaften bei knapp einem Viertel (22 Prozent) und bei den Männergemeinschaften rund zwei Drittel (68 Prozent).
epd hei/cez jup