Berlin (epd). Individualismus gilt als negativ: Jugendlichen in Deutschland sind soziale Werte wichtiger. Viele beklagen eine "Jeder-für-sich"-Mentalität und den fehlenden Zusammenhalt in der Gesellschaft, wie es in der am Donnerstag veröffentlichten Jugendstudie 2020 des Sinus-Instituts zum Thema "Wie ticken Jugendliche?" heißt. Die Befragten haben demnach Angst vor zunehmender Polarisierung, Hass und Aggression. Auch der Klimawandel bereitet ihnen Sorgen.
Insgesamt seien Teenager heute ernsthafter und besorgter als früher, hieß es. Zeit für sich selbst haben oder "chillen" werde wichtiger. Feiern gehen und Spaßkultur verlören an Bedeutung, auch die Ära der Subkulturen scheine endgültig vorbei zu sein. Studienleiter Marc Calmbach betonte, für alle Befragten seien Familie, Freunde, Vertrauen, Ehrlichkeit und Treue wichtig. Laut Studie streben viele ein bürgerliches Leben in der Mitte der Gesellschaft an. Das sei erstrebenswerter als Status, Erfolg und Aufstieg.
Ein 16-Jähriger mit ausländischem Hintergrund sagte demnach im Interview: "Ich glaube, ich werde ein typischer Mittelklassedeutscher." Er beschrieb seine Wunschvorstellung so: "Ein Einfamilienhaus irgendwo auf dem Dorf", arbeiten, aber nicht im "Fulltime-Job". Außerdem wolle er viel in seiner Freizeit machen, "mit meinen Kindern". Eine 15-Jährige sagte laut Studie: "Ich wünsche mir, dass ich in der Zukunft eine kleine Familie habe. Zwei Kinder und einen Mann." Wenn sie ich an die Zukunft denke, "dann hauptsächlich an die Familie".
In der Corona-Pandemie zeigten sich Jugendliche zwar genervt von den Einschränkungen, aber dennoch mitfühlend gegenüber älteren Familienangehörigen und Risikogruppen. Die Befragten hätten wenig Angst davor, sich selbst mit dem Virus zu infizieren, befürchteten aber, andere Menschen anzustecken.
Bei den Berufsvorstellungen spielten insbesondere weiche Faktoren eine Rolle wie Spaß an der Arbeit, Vereinbarkeit mit dem Privatleben und ein gutes Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen. Einkommen stehe in der Regel nicht an erster Stelle.
Bei der Frage, ob sie sich vorstellen könnten, bei kirchlichen Einrichtungen zu arbeiten, zeigten sich viele Jugendlichen zunächst verwundert, aber nicht ablehnend, sagte Calmbach. Wichtig sei ihnen vor allem, dass die Arbeit gefalle. Die Befragten nannten seinen Angaben nach aber als Bedingung, dass sie sich im Job nicht an religiöse Vorschriften halten müssen. An der Kirche als Arbeitgeberin positiv gesehen werde, dass man dort Gutes und Sinnvolles tun könne.
Von der Politik fühlten sich viele Teenager nicht gehört, hieß es weiter Die Klimakrise werde nach Ansicht von Jugendlichen von Politik, Wirtschaft und den älteren Generationen nicht ernst genommen.
Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Katja Mast, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Wer junge Menschen nicht ernst nimmt und ausreichend beteiligt, begeht einen großen Fehler. Es sind die Jugendlichen, die dieses Land in Zukunft gestalten."
Das Sinus-Institut hat den Hauptsitz in Heidelberg und ist spezialisiert auf psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung. Auftraggeber der Jugendstudie waren unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung, die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz und der Deutsche Fußball-Bund. Befragt wurden 72 Jugendliche aus verschiedenen sozialen und Bildungsschichten. Die statistisch nicht-repräsentative Erhebung erscheint alle vier Jahre und will abbilden, was 14- bis 17-jährigen Teenagern wichtig ist.