Frankfurt a.M. (epd). Der Prozess um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor einem Jahr hat begonnen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main eröffnete am Dienstagvormittag die Hauptverhandlung gegen die beiden mutmaßlichen Täter. Die Bundesanwaltschaft hat Stephan E. (46) des Mordes angeklagt, Markus H. (44) der Beihilfe zum Mord. Stephan E. muss sich darüber hinaus im Fall eines 2016 in Lohfelden bei Kassel niedergestochenen Flüchtlings verantworten. Hier wird ihm versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Das Gericht hat bis Ende Oktober 32 Verhandlungstage vorgesehen.
Die Bundesanwaltschaft wirft den beiden Angeklagten aus Nordhessen vor, aus rechtsradikaler, fremdenfeindlicher Gesinnung gehandelt zu haben. Beide haben in der Vergangenheit an rechtsextremistischen Kundgebungen und Demonstrationen teilgenommen. Stephan E. ist dabei mit Gewaltdelikten bis in die 90er Jahre bei der Justiz registriert. Lübcke soll seit einer Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Lohfelden zur Zielscheibe fremdenfeindlichen Hasses geworden sein. Damals warb er für die Eröffnung einer Flüchtlingsunterkunft und wehrte sich gegen störende Zwischenrufe.
Der Anwalt der Familie Lübcke, Holger Matt, sagte vor Beginn der Verhandlung, die Nebenklage wolle alle Umstände der Mordtat erfahren. "Nach meiner Überzeugung handelt es sich um ein kaltblütig geplantes, heimtückisch begangenes, feiges Mordverbrechen aus übelsten Beweggründen", sagte Matt. "Wir werden als Nebenkläger alles Mögliche zur Aufklärung beitragen." Auch der irakische Flüchtling, den E. niedergestochen haben soll, nimmt als Nebenkläger teil.
Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel und vier weitere Richter sowie zwei Ergänzungsrichter leiten das Verfahren. Die beiden Angeklagten werden jeweils von zwei Verteidigern begleitet. Aufgrund der Corona-Pandemie ist die Zahl der freien Plätze im Saal stark beschränkt. Im Verhandlungssaal gibt es 18 Plätze für die Öffentlichkeit und 19 auf der Empore für Journalisten.
Stephan E. wurde zwei Wochen nach dem Mord an Lübcke festgenommen, der Fund von Hautteilen mit seiner DNA auf der Kleidung des Toten überführte ihn. Zunächst gestand er, Lübcke erschossen zu haben und führte die Polizisten zu einem Waffenversteck mit acht Schusswaffen, einschließlich der Mordwaffe. Er belastete Markus H. Nach dem Wechsel seines Rechtsanwalts widerrief er das Geständnis und beschuldigte Markus H., bei der Tat dabei gewesen zu sein und mit E.s Waffe versehentlich einen Schuss auf den Regierungspräsidenten abgegeben zu haben. Im Zuge der Hausdurchsuchung bei E. fand die Polizei ein Messer mit DNA-Spuren des 2016 niedergestochenen Flüchtlings.