Osnabrück (epd). Caritaspräsident Peter Neher hat angesichts des jüngsten Sterbehilfe-Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine intensive gesellschaftliche Debatte um den Wert des Lebens gefordert. "Ich halte die Entscheidung des Gerichts für problematisch, weil sie das Selbstbestimmungsrecht letztlich als einziges Kriterium über Tod und Leben nennt", sagte Neher der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Montag). Fraglos handele es sich beim Selbstbestimmungsrecht um "ein hohes Gut", sagte der Präsident des Deutschen Caritasverbandes. "Das setzt aber voraus, dass jeder Suizidwunsch aus einer selbstbestimmten Haltung heraus geäußert wird. Und ob das immer der Fall ist, hinterfrage ich mindestens kritisch."
Die Karlsruher Richter hatten Ende Februar das seit 2015 geltende Verbot organisierter Hilfe beim Suizid gekippt und das Recht auf selbstbestimmtes Sterben betont. Neher sagte, ein geäußerter Sterbewunsch könne auch missverstanden werden. "Wenn jemand unter großen Schmerzen leidet oder sich in tiefer Einsamkeit befindet, frage ich mich, ob dessen Selbstbestimmung tatsächlich so leitend ist oder ob es nicht letztlich ein Ruf nach Leben, nach Zuwendung, nach Hilfe, nach Unterstützung, nach Nähe ist. Deshalb halte ich diese starke Betonung der Selbstbestimmung angesichts der Komplexität für falsch."
Das Urteil erwecke den Eindruck, Selbsttötung wäre eine legitime Alternative bei schwerer Erkrankung oder Einsamkeit, sagte der Theologe, der seine Dissertation zum Thema Sterben und Sterbebegleitung geschrieben hat. Vor allem alte und schwer kranke Menschen könnten sich unter Druck gesetzt fühlen, "die Möglichkeit der assistierten Selbsttötung in Anspruch zu nehmen", warnte Neher.