Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. (Prediger 3,1–8)
Liebe Immer-noch-Fastende,
jetzt haben wir schon zweimal 7 Wochen Ohne hinter uns gebracht. Ostern ist sieben Wochen her und wir fasten immer noch Pessimismus, so gut es geht. Ein großes Unbehagen, das uns angesichts der Pandemie beschleichen kann, ist, dass sie niemals wieder aufhören wird. Das ist zwar unbegründet, aber weil wir keine klaren Perspektiven auf ein Ende haben, wächst dieses Unbehagen und kann zur Angst werden. Da wirkt ein Text wie der des „Predigers“ Kohelet beruhigend. Alles hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit, aber herzen eben auch. Alles kommt und geht, nichts ist ewig.
Allerdings ist das nicht der Trost, den Kohelet geben will. Er will nicht sagen: Warte nur ab, das Unglück wird vergehen. Worum es ihm vielmehr geht, wird in den folgenden Versen deutlich:
Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll. Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist. (Prediger 3,9–15)
Die Aussicht, dass nach Weinen wieder Lachen seine Zeit hat, ist für den Prediger wenig tröstlich, denn auf Lachen folgt ebenfalls wieder Weinen. Nichts kommt an ein Ziel. Es kann nie alles ganz gut werden. Dieser vollkommene Zustand ist allein Gott vorbehalten. Nur Gott kann die Ewigkeit ermessen. Der Mensch hat lediglich eine Sehnsucht danach, ihm ist „die Ewigkeit ins Herz gelegt“.
Kohelets Erkenntnis lautet: Es lohnt sich nicht, sich abzumühen, um etwas Neues zu erreichen. Die Mühe wird immer bleiben, was kommen wird, war schon immer da. Also „sei fröhlich und tu dich gütlich in deinem Leben“. Das heißt allerdings nicht: Pfeif auf die Umstände und lass es dir einfach gut gehen. Es bedeutet vielmehr: Akzeptiere den Umstand, dass dein Leben mühselig ist, und warte nicht auf ein besseres, bevor du anfängst, dieses Leben zu genießen! Hab guten Mut bei deinem Mühen, mitten in deinem Mühen!
Das ist ein sehr guter Ratschlag auch in unserer Zeit. Besonders in der Kombination mit den ersten Versen. Es ist gut, sich klarzumachen, dass nichts ewig ist, auch nicht die Pandemie und die Beschränkungen, die sie für uns bringt. Es hat alles seine Zeit, nicht seine Ewigkeit. Dazu der Ratschlag: Was du jetzt Gutes hast, das genieße, und warte nicht damit. Der erste Schritt dahin ist zu erkennen, was es denn gerade Gutes „mitten in der Mühsal“ gibt. Wenn man das weiß, kann man es bewusst genießen, es wird zu etwas Besonderem, das sich zu feiern lohnt.
Darum lautet meine Wochenaufgabe für Sie: Entdecken Sie etwas, das Ihnen in diesen Tagen Freude bereitet! Vielleicht ist Ihnen das bisher noch gar nicht recht bewusst geworden. Seien Sie aufmerksam und überlegen Sie, woran Sie sich „gütlich tun“. Wenn Sie etwas gefunden haben, binden Sie eine Schleife darum. Ich weiß nicht, ob das in Ihrem Fall tatsächlich funktioniert, eine reale Schleife um das zu binden, was Sie fröhlich macht, aber vielleicht finden Sie einen Weg! Kennzeichnen Sie den Grund Ihrer Fröhlichkeit mit einer Schleife und machen Sie so ein Geschenk daraus! Ein Geschenk, das Ihnen gemacht worden ist.
Beide Teile des Bibeltextes dieser Woche können Sie wie immer in unserem Podcast Ohrenweide hören. Und wenn Sie Spaß daran haben, hören Sie sich auch noch die Vertonung des Textes von Pete Seeger an. Oder mögen Sie die Version der Byrds lieber? So oder so: Gönnen Sie sich etwas!
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche mitten in der Mühsal!
Ihr Frank Muchlinsky