Erfurt (epd). Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) will die allgemeinen Corona-Beschränkungen in seinem Bundesland aufheben. Als Grund nannte er am Wochenende die niedrige Zahl der Infektionen in Thüringen. Andere Landesregierungen sowie Politiker von SPD und Union im Bundestag äußerten deutliche Kritik an dem Vorhaben. Auch in der eigenen Koalition stieß Ramelow auf Skepsis.
"Wir haben im März auf der Grundlage von Schätzungen von 60.000 Infizierten entschieden - jetzt haben wir aktuell 245 Infizierte", sagte Ramelow der "Bild am Sonntag". Der Erfolg zeige, dass die harten Maßnahmen zurecht ergriffen wurden, zwinge nun aber auch zu realistischen Konsequenzen. "Und das heißt: Für Thüringen empfehle ich die Aufhebung der Maßnahmen."
Auf seiner Internetseite schrieb Ramelow, er werde dem Kabinett Vorschläge unterbreiten, "wie wir ab dem 06. Juni auf allgemeine Schutzvorschriften verzichten können und hin zu einem Konzept des Empfehlens und der lokalen Covid19-Bekämpfung bei wieder ansteigenden Infektionszahlen kommen." Das Motto solle lauten: "Von Ver- zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbstverantwortetem Maßhalten."
Im Kern werde es darum gehen, dass bereits vor dem Erreichen des Grenzwertes von 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner im Gesundheitsministerium ein Alarmsystem ausgelöst werde, erläuterte Ramelow weiter. In der Folge sollten sofort Unterstützungsmaßnahmen für betroffene Städte und Kommunen veranlasst werden, um neue Infektionsherde einzudämmen und eine optimale medizinische Versorgung zu gewährleisten.
Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) kritisierte die Ankündigung Ramelows. "Unser aller Job in der Politik ist jetzt nicht alleine, Sehnsüchte zu stillen - auch wenn diese nachvollziehbar sind -, sondern weiter nüchtern, verantwortungsvoll und wissenschaftsgeleitet abzuwägen und der Gesellschaft zu helfen, diese Pandemie zu durchstehen", sagte Hans der "Welt" (Montag). Es seien weiter staatlich vorgegebene Regeln geboten, betonte er.
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erinnerte in der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Montag) an den Corona-Ausbruch nach der Feier in einem Gasthof vor kurzem in Leer und erklärte: "Das Coronavirus ist keineswegs aus der Welt, und deshalb wollen wir in Niedersachsen auch weiterhin die Lockerungen nur Schritt für Schritt ausweiten ohne den Bogen zu überspannen."
Ablehnend äußerte sich auch Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU). "Ich halte eine komplette schnelle Lockerung für verfrüht", sagte er der "Bild am Sonntag". Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) mahnte, die Gefahr durch das Virus sei noch nicht gebannt. "Wir dürfen die erzielten Erfolge im Kampf gegen die Seuche nicht fahrlässig aufs Spiel setzen."
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bezeichnete Ramelows Plan als klaren Fehler. "Wir haben keine Neuigkeiten in Bezug auf die Gefährlichkeit des Virus", sagte der Bundestagsabgeordnete der "Saarbrücker Zeitung" (Montag). Thüringen stelle jetzt genau die Maßnahmen in Frage, "denen man den gesamten Erfolg im Moment zu verdanken hat". Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei mahnte in der "Welt" (Montag), es sei zu früh, um allein auf Selbstverantwortung zu setzen.
Mit seiner Haltung stößt Ramelow auch in der eigenen Koalition auf Skepsis. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag, Matthias Hey, sagte der "Bild am Sonntag", Ramelows Vorhaben habe "überall große Irritationen ausgelöst". Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) erklärte, er unterstütze den Vorschlag Ramelows für eine zügige Aufhebung aller Corona-Beschränkungen - "soweit damit nicht grundlegende Hygiene- und Arbeitsschutzregelungen gemeint sind".
epd fu