Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht! Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!
Liebe Kleingläubige,
ich hoffe, Sie empfinden meine Anrede nicht als beleidigend. Ich schließe mich dieser Gemeinschaft der Kleingläubigen gern selbst an, zumal ihr viele interessante Prominente angehören. Unser heutiger Stargast ist Petrus, der eigentlich Simon heißt. Der Jünger, der losgeht, wenn Jesus ihn ruft. Das war schon so, als Jesus zum ersten Mal ihn und seinen Bruder Andreas am See ansprach: „Kommt mit“, sagte Jesus, „ich will euch zu Menschenfischern machen.“ (Mt 4,19) Und augenblicklich ließen sie alles stehen und liegen und gingen mit Jesus. Man sollte meinen, dass Jesus solche Leute nicht als Kleingläubige bezeichnet. Simon Petrus stellt sich auch im Verlauf der weiteren Geschichte als ausgesprochen flink heraus, wenn es darum geht, Jesus zu versichern, wie ernst es ihm ist mit seinem Glauben. Nicht zuletzt in der Geschichte, die ich für diese Woche ausgesucht habe.
Während die anderen Jünger anscheinend immer noch zögern, in der Erscheinung auf dem See Jesus zu erkennen, sagt Petrus bereits: „Ruf mich, und ich komme!“ Vielleicht erinnert sich Petrus daran, wie es war, als Jesus ihn berief. Damals warf er sein ganzes Leben über den Haufen, warum nicht heute die Naturgesetze? In dem Moment, als er sein Bein über die Reling des Bootes hebt, empfindet sich Simon Petrus bestimmt als ein „Großgläubiger“, wenn es denn so etwas gibt. Als er die Gefahr um sich herum wahrnimmt, ist es damit vorbei. Er beginnt zu sinken und bittet Jesus schreiend um Hilfe. Der nimmt seine Hand und noch bevor sie wieder im Boot sind, kommen diese Worte: „Du Kleingläubiger.“ Mag sein, dass Jesus auch hier lächelte, als er das sagte; für Petrus muss es sich aber wie ein Vorwurf angehört haben. Zumal Jesus noch anschließt: „Warum hast du gezweifelt?“
Auf Griechisch nennt Jesus ihn „Oligopistos“. Das setzt sich aus „oligos“ „wenig“ und „pistos“ „Glaubender“ zusammen und klingt in unseren Ohren wie eine ärztliche Diagnose. Schließlich werden Krankheiten häufig mit griechischen Wörtern bezeichnet. Man könnte dem armen Petrus scherzhaft "Oligopistie" bescheinigen und ihm dann etwas verschreiben, das seinen Glauben vermehrt. Aber eine Krankheit ist es nicht, was Jesus hier ausdrückt, eher ein Befund, der wohl letztlich auf jeden gläubigen Menschen zutrifft. Ich frage mich, ob der Satz „Warum hast du gezweifelt?“ tatsächlich nur ein Vorwurf ist, oder ob Jesus Petrus auffordert, diese Frage, zumindest für sich selbst, auch zu beantworten.
Warum zweifeln wir? Weil wir einfach nicht richtig glauben? Nicht genügend vertrauen? Weil wir wie Petrus die Gefahr wahrnehmen, in der wir uns befinden? Oder zweifeln wir, weil wir erkennen, dass wir das Schicksal herausfordern, wenn wir aus dem Boot aufs Wasser steigen? Immerhin hatte nicht Jesus die Idee, dass Petrus auf dem Wasser gehen soll. Petrus selbst wollte das. In seinem Überschwang wollte er anscheinend beweisen, wie groß sein Glauben ist. „Polipistos“ („Vielgläubiger“, erfundenes Wort) wollte er sein, und wie könnte man das besser zeigen, als sich in der Gefahr ganz auf den Glauben zu verlassen? Ich finde es sehr freundlich von Jesus, dass er Petrus diesen Wunsch überhaupt gewährt. Noch freundlicher finde ich es, dass er ihn rettet, als sein Selbstversuch scheitert.
Ich denke, dass wir als Gemeinde der Kleingläubigen sicherlich dazu aufgefordert sind, unseren Glauben größer und stärker zu machen. Aber gleichzeitig lehrt diese Geschichte auch, dass wir uns nicht selbst in Gefahr begeben müssen, um unseren Glauben zu beweisen. Das gilt sicherlich auch in unserer derzeitigen Situation. Unsere Kreise werden langsam wieder größer. Wir können uns wieder mehr trauen. Mehr Menschen treffen, Restaurants und Freunde besuchen. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass wir in einem Boot sitzen, um das herum gerade ein Sturm tobt. Fordern wir also weder unseren Glauben noch das Schicksal heraus, indem wir uns oder andere in Gefahr bringen. Üben wir uns weiterhin in Zuversicht und in nötiger Zurückhaltung.
Damit kommen wir zu meiner Wochenaufgabe für Sie: Damit Sie nicht nur das Gefühl haben, auf etwas verzichten zu müssen, üben Sie neben Zurückhaltung auch, auf dem Wasser zu gehen! Nutzen Sie dafür ausschließlich seichte Pfützen! Gönnen Sie es sich, direkt durch, nein über Pfützen zu gehen! Es regnet nicht? Dann nehmen Sie eine Gießkanne zur Hand! Freuen Sie sich an Ihrem Glauben, so groß oder klein er auch ist! Und wenn Sie Lust auf noch mehr Spiel haben, hören Sie in unserem Podcast, während sie übers Wasser gehen, wie Helge Heynold Ihnen die Geschichte vom „Seewandel“ vorliest.
Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute!
Ihr Frank Muchlinsky