Da stehen sie, mitten in den Dünen der ostfriesischen Nordseeinsel Langeoog. Das alte Foto zeigt neun junge Leute, Konfirmanden, festlich angezogen, meist mit einem Lächeln auf den Lippen. Sieben Mädchen mit schlicht-schwarzen Kleidern, an den Füßen Riemchenschuhe, um die Hüften Schärpen und - einzig auffälliger Schmuck - weiße Spitzen-Kragen. Manche mit streng geflochtenen Zöpfen, andere mit frechem Bubikopf, gerade mächtig in Mode. Zwei Jungs mit dunklem Anzug und Schlips, ordentlicher Scheitel auf dem Kopf. Unter den Jugendlichen ist Alice Happek, eine aus dem Langeooger Konfirmandenjahrgang 1935.
Die Insulanerin wurde vor 85 Jahren eingesegnet und begeht in diesen Tagen ihre "Engelkonfirmation". Silberne und goldene Konfirmationen werden noch relativ oft gefeiert. Aber dann folgen die diamantene Konfirmation (60 Jahre), die Gnadenkonfirmation (70 Jahre), die Kronjuwelen- (75 Jahre) und die Eichenkonfirmation (80 Jahre), die es schon kaum noch gibt. Aber eine Engelkonfirmation - "wirklich selten", sagt der evangelische Inselpastor Christian Neumann.
Die sechs Mitkonfirmandinnen und zwei -konfirmanden auf dem Bild kann Alice Happek, die Langeoog nie verlassen hat, alle noch namentlich aufzählen. Aber es ist keiner mehr da, mit dem die heute 99-Jährige das Jubiläum gemeinsam hätte begehen können. Das sollte eigentlich am kommenden Sonntag im Konfirmationsgottesdienst geschehen, zusammen mit sechs Jugendlichen, die in diesem Jahr auf der Insel eingesegnet werden. Aber Corona machte den Planungen einen Strich durch die Rechnung. "Der Gottesdienst ist in den September verschoben", sagt Pastor Neumann.
"Ganz nah bei der Kanzel"
Vor 85 Jahren sind die Jugendlichen mit Inselpastor Otto Harms in die Kirche eingezogen. Und Alice Happek, tief gläubig, ist der Gemeinde bis heute treu geblieben. "Wenn sie es schafft, ist sie im Gottesdienst dabei, sitzt ganz nah bei der Kanzel, ist im Bastelkreis aktiv", berichtet Neumann. An ihrem Jubiläumstag, dem 14. April, ist sie mit dem Pastor in die eigentlich geschlossene Kirche gegangen, das war ihr wichtig: die Bibel in der Hand, die sie zur Konfirmation bekommen hat, mit der Widmung von "Deiner Dich innigst liebenden Großmutter".
In der Inselkirche hat Alice Happek, geborene Stolle, die freudigen Momente ihres Lebens gefeiert - die Trauung, die Taufe ihrer Kinder, die Feste im Kirchenjahr. Dort musste sie aber auch schon oft Abschied nehmen. Und die Zeit ihrer Konfirmation, mit Vorahnungen eines heraufziehenden Krieges, war nicht leicht. Inzwischen erlebt sie den fünften Inselpastor. "Aber dass man den damals hätte in den Arm nehmen können, war gar nicht denkbar", sagt die Jubilarin und schmunzelt: Früher sei eben doch nicht alles besser gewesen.
"Da stehn wir vor, da müssen wir durch"
Alice Happek "müssen wirklich Engel durch ein langes, bewegtes Leben begleitet haben", davon ist Pastor Neumann überzeugt. "Die unterschiedlichsten Inselzeiten hat sie miterleben dürfen oder durchstehen müssen - so wie jetzt in der Krise."
Die rüstige Insulanerin, die aus einer Bauunternehmers-Familie stammt, nimmt es gelassen und sagt auf Plattdeutsch: "Da stohn wie vör, da mut wie dör" - da stehn wir vor, da müssen wir durch. Sie hat in ihrem Geburtsjahr schließlich schon die Spanische Grippe überstanden. So Gott will, feiern die Insulaner im August also erst ihren 100. Geburtstag und dann: Engelkonfirmation.