TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Söhne Rostocks" (ARD)

Alter Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Söhne Rostocks" (ARD)
19.1., ARD, 20.15 Uhr
Der Titel lässt einen Krimi über Hooligans oder Neonazis vermuten, aber "Söhne Rostocks" erzählt eine völlig andere Geschichte; und das unnötig kompliziert. Die Story an sich ist letztlich einfach. Äußerst komplex ist dagegen die emotionale Gemengelage: Es geht um Rache, Freund- und Feindschaften, eine unbekannte Vaterschaft und viele große Enttäuschungen.

Weil jedoch sowohl die Nebenfiguren wie auch ihre Darsteller nicht weiter spannend sind, leistet sich Drehbuchautor Markus Busch den Luxus, eine potenziell ungleich fesselndere Handlung in einem Seitenstrang zu verstecken. Der Film beginnt mit einem Anruf bei der Polizei, der sich zunächst als Fehlalarm rausstellt: Bei Michael Norden (Tilman Strauß), stadtbekanntem Besitzer einer erfolgreichen Zeitarbeitsfirma, ist angeblich eingebrochen worden, doch Bukow (Charly Hübner) kann nichts Verdächtiges entdecken; bis ihm ein Toter in die Arme taumelt. Der Unternehmer, sichtlich schockiert, also wohl nicht für den Tod des Mannes verantwortlich, setzt sich in sein Auto, rast davon und ward nicht mehr gesehen. Das ist als Auftakt durchaus interessant und weckt erfolgreich die Neugier, aber dann verzettelt sich der Film im Beziehungsgeflecht allzu vieler Personen, die auf die eine oder andere Weise mit Norden verbunden waren. Der Mann stammt aus einfachen Verhältnissen, hat seine Heimat einst verlassen, um seinen Vater zu suchen, und in der Fremde gelernt, wie man zu Geld kommt. Als er wieder heimgekehrt ist, wollte aber mit seinen früheren Weggefährten nichts mehr zu tun haben. Nun hat er sich offenbar bei einer Investition in mehrfacher Millionenhöhe verzockt.

Die Geschichte von Aufstieg und Absturz eines Überfliegers ist potenziell faszinierend, aber Norden verschwindet erst mal aus dem Film; fortan wird in erster Linie über ihn geredet. Stattdessen hält die Gewalt Einzug. Im Bild sind die Taten zwar nur selten zu sehen, aber die Gesichter der verschiedenen Beteiligten sprechen Bände; irgendwann sind alle gezeichnet. Außerdem kommt es zu einem weiteren recht grausamen Todesfall. Trotzdem will sich keine rechte Spannung einstellen, selbst wenn Hübner aus einfachen Befragungsszenen viel mehr rausholt, als drin ist.

Autor Busch hat zuletzt einen guten "Tatort" aus Dortmund ("Inferno", 2019) und davor einen noch besseren aus Kiel geschrieben ("Borowski und das Fest des Nordens", 2018). Sehr reizvoll war auch "Am Abend aller Tage" (2017), Dominik Grafs ungewöhnliche Annäherung an den Fall Gurlitt. Umso seltsamer, dass diesmal eine Nebenebene viel interessanter ist.  Das Drehbuch knüpft damit an die Episode "Für Janina" (2018) an. In dem vorzüglichen Krimi ist ein dreißig Jahre alter Mordfall wieder aufgerollt worden. Weil der Täter zu DDR-Zeiten freigesprochen worden ist, darf er nicht erneut angeklagt werden; also hat Kommissarin König (Anneke Kim Sarnau) dafür gesorgt, dass er wegen eines anderen Mordes verurteilt wird. Dieser Mann, Guido Wachs (Peter Trabner), meldet sich nun aus der Haft bei ihr, weil er überzeugt ist, dass ihr das schlechte Gewissen keine Ruhe lässt. Das Verhältnis zwischen König und Bukow wird damit erneut auf eine Probe gestellt. Er hat die Kollegin schon mal mit einer Falschaussage gedeckt; damals sind die beiden mit einem blauen Auge davon gekommen. Würde König nun zugeben, dass sie Beweise gefälscht hat, wäre dies für beide das Ende der Polizeilaufbahn.

Seit dem Start des "Polizeirufs" aus Rostock 2010 war das Binnenverhältnis zwischen dem Ermittlerduo ohnehin stets ein Quell großer Spannungen. Der Schöpfer der Figuren, Eoin Moore, der zwischendurch immer wieder mal Buch und Regie übernimmt ("Für Janina" war auch von ihm), hat zu Beginn mit einem simplen Kniff dafür gesorgt, dass die beiden Hauptfiguren nicht einfach nur Kollegen sein können: Weil Bukow Verbindungen zur organisierten Kriminalität nachgesagt wurden, sollte LKA-Kommissarin König ein Auge auf ihn haben. Seither kommen sich die beiden mal näher – der letzte Film, "Der dunkle Zwilling", endete gar mit einem Kuss –, dann gehen sie wieder auf Distanz; das macht den tieferen Reiz der Filme aus. Bukow kümmert sich diesmal fürsorglich um die Kollegin und leert sogar ihren Flachmann, damit sie nicht im Dienst trinkt.

Für Regisseur Christian von Castelberg lag der Reiz der Geschichte vor allem in der personellen Konstellation, was dem Film anzumerken ist. Fesselnd im klassischen Krimisinn ist der  Film ohnehin nicht, weil Buch und Regie beschreiben, wie sich jemand von ganz unten nach ganz oben gearbeitet hat; und dann geht wegen seiner Gier alles wieder den Bach runter. Regie und Kamera (Martin Farkas) bemühen sich zwar, "Söhne Rostocks" aus dem Krimialltag herauszuheben, aber an den hohen Durchschnitt der Rostocker "Polizeiruf"-Beiträge kommt der Film nicht heran.