Hannover, Hameln (epd). Der frühere Landrat von Hameln, Tjark Bartels (SPD), sieht seinen Rücktritt im vergangenen Oktober wegen zunehmender Hetze in sozialen Medien auch heute noch als unausweichlich an. Es habe dazu keine Alternative gegeben, sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Mittwoch). "Plötzlich war ich der Sündenbock und wurde dem allgemeinen Pranger ausgeliefert." Er habe sogar Morddrohungen erhalten. "Das war nicht mehr auszuhalten. Heute bin ich meinem Körper dankbar, dass er die Notbremse gezogen hat. Ich wäre sonst daran zerbrochen."
Bartels hatte im Oktober erklärt, dass er wegen eines Burn-outs sein Amt als Landrat des Kreises Hameln-Pyrmont nicht länger ausüben könne. Er war im Zuge eines Missbrauchsskandals unter Druck geraten. Bei Ermittlungen zu hundertfachem Missbrauch von Kindern auf einem Campingplatz in Lügde waren auch massive Behördenfehler ans Licht gekommen.
In der vergangenen Woche war auch der SPD-Politiker Arnd Focke als ehrenamtlicher Bürgermeister von Estorf im Kreis Nienburg wegen rechter Hetze, Hakenkreuzschmierereien und Drohanrufen zurückgetreten.
Bartels sagte, er habe sich um Aufklärung bemüht. Dennoch hätten die sozialen Medien ihn "zum Symbol und Angriffspunkt der Lügder Missbrauchsaffäre gemacht". Der frühere Landrat kritisierte, Politiker seien vor allem in den sozialen Medien in "immer kürzer werdenden Abständen Empörungswellen ausgesetzt, die immer höher werden, und unsere Debattenkultur zerstören". Es gehe nur darum, möglichst schnell Sündenböcke zu finden, auf denen sich dann eine künstlich und gezielt erzeugte Zorneswelle entladen könne. Diese ständige Empörung lähme die Gesellschaft und die Akteure. "Sie schafft Strukturen, wie man sie vom Mobbing kennt."
Zwar hätten auch die Nationalsozialisten Politik durch Populismus und Ausgrenzung betrieben. "Neu ist aber die Schnelligkeit, mit der sich heute binnen Stunden Wutdebatten aufbauen." Fatal werde es, wenn auch etablierte Medien sich daran beteiligten. Bartels forderte Staat und Gesellschaft auf, sich dagegen zu wehren. Es dürfe nicht sein, "dass jemand im Internet zum Freiwild erklärt wird".