Frankfurt a.M. (epd). Der Kirchenrechtler Thomas Schüller hat die Aufhebung des päpstlichen Geheimnisses für Missbrauchsfälle als "epochale Entscheidung" bezeichnet. Er sprach von einer "substanziellen, positiven Veränderung". Betroffene sexuellen Missbrauchs könnten in Zukunft von der Neuregelung profitieren, sagte Schüller dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Fälle seien zwar in der Regel kirchenrechtlich und strafrechtlich verjährt. Aber es erweitere die Möglichkeiten der Betroffenen, Entschädigungen zu bekommen.
Ab dem 1. Januar 2020 dürfen alle kirchlichen Behörden Akten über Missbrauchsfälle herausgeben, wenn sie von staatlicher Seite dazu aufgefordert werden. Das erleichtere den staatlichen Behörden in aktuellen Fällen die Verfolgung solcher Straftaten natürlich ungemein, sagte Schüller. Kein Bischof und keine bischöfliche Behörde könne sich mehr mit dem Verweis auf das päpstliche Geheimnis davon ausnehmen, mit dem Staat zusammenzuarbeiten. Schüller ist Professor für Kanonisches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er hat zudem jahrelang als Ansprechpartner im Bistum Limburg mit Betroffenen sexueller Gewalt gearbeitet.
Bischöfe konnten sich bislang bei Sexualdelikten immer auf das päpstliche Geheimnis berufen. Es galt in allen Diözesen und Bistümern weltweit. Das päpstliche Geheimnis besteht seit Jahrhunderten und wurde 1974 bestätigt, erläuterte Schüller. Es bedeutete, dass an Verfahren beteiligte Personen gegenüber Dritten keine Auskunft geben durften. Verstießen die Kleriker gegen die Schweigepflicht drohten Strafen bis hin zur Exkommunikation. Das päpstliche Geheimnis galt aber nicht nur für Sexualstraftaten innerhalb der Kirche, sondern auch bei der Findung von neuen Bischöfen und bei der Papstwahl.
Natürlich müsse man abwarten, wie die Bischöfe weltweit nun damit umgehen, sagte Schüller. Staatliche Behörden könnten sich ab sofort jedoch nach Rom wenden, wenn Bischöfe vor Ort nicht kooperieren wollen. Deutschland sei, was die Aufklärung und Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Schutzbefohlene angehe, schon weiter als andere Länder der Welt, sagte Schüller. Einige deutsche Bistümer arbeiteten trotz des päpstlichen Geheimnisses bereits mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Eine Kooperation ist auch in den Leitlinien zur Aufarbeitung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz festgehalten.
Eine weitere Änderung des Kirchenrechts betrifft die Strafverfolgung von jugendpornografischem Material. Bislang war lediglich der Besitz und die Verbreitung von kinderpornografischem Material nach Kirchenrecht strafbar. Nun sind auch Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren geschützt. Schüller begrüßte diese Änderung. Es sei festzustellen, dass sich Missbrauchstaten aktuell stark in den pornografischen Bereich verlagern. Das sehe man auch an aktuellen Fällen wie dem aus Bergisch Gladbach.