Göttingen (epd). Im Nahen Osten wird die religiöse Vielfalt nach Angaben von Menschenrechtlern immer mehr bedroht. In den von Bürgerkriegen betroffenen Ländern Syrien und dem Irak fühlten sich die wenigen verbliebenen Christen immer unsicherer, erklärte die Gesellschaft für bedrohte Völker am Donnerstag in Göttingen. Hauptgefahren seien fehlende Staatsordnungen und islamistische Milizen. Auch andere nicht-muslimische Volksgruppen wie Jesiden, Mandäer oder Bahai stünden unter Druck.
Im Sommer dieses Jahres lebten der Menschenrechtsorganisation zufolge im Irak weniger als 150.000 Christen. Bevor die USA 2003 in das Land einmarschierten, seien es 1,5 Millionen gewesen. "Innerhalb von einer Generation schrumpfte die christliche Bevölkerung also um 90 Prozent", sagte der Nahostexperte der Gesellschaft, Kamal Sido. Das selbe Phänomen zeige sich in Syrien. Dort habe es Mitte des Jahres schätzungsweise rund 500.000 Christen gegeben - gegenüber 1,5 Millionen vor Beginn des Konflikts im Jahr 2011.
Nach der Zerschlagung des "Islamischen Staates (IS)" im Norden und Osten Syriens durch die von Kurden angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) habe sich die Situation für religiöse Minderheiten in Teilen Syriens und Iraks zunächst verbessert, erläuterte Sido. Durch den völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in Nordsyrien und die wiederholten Luftangriffe des Nato-Landes auf kurdische Stellungen im Irak seien nun viele Schläferzellen des IS aktiv geworden. Bombenanschläge mit vielen zivilen Opfern hätten wieder zugenommen.
Während die Türkei radikale sunnitische Milizen unterstütze und finanziere, erhielten schiitische Milizen Hilfe vom Iran. "Diese Gruppen sind zwar untereinander verfeindet", sagte Sido. "Einig sind sie sich jedoch bei der Verfolgung von Christen, Jesiden, Mandäern, Bahai und Juden." Durch die fortgesetzte Unterdrückung und Verfolgung, gezielte Entführung und Ermordung von Christen im Irak und in Syrien sei das christliche Leben in diesen Ländern stark bedroht.