Günther warnt vor wachsender politischer Kluft zwischen Ost und West
Berlin/Kiel (epd). Vor den Feiern zum Tag der Deutschen Einheit haben Spitzenpolitiker die historischen Ereignisse von 1989/90 gewürdigt und vor neuer Spaltung gewarnt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ehrte am Mittwoch in seinem Amtssitz Schloss Bellevue in Berlin Vertreter der DDR-Opposition sowie Akteure von friedlicher Revolution und deutscher Wiedervereinigung mit dem Bundesverdienstkreuz. "Ihr Mut hat Grenzen gesprengt", würdigte das Staatsoberhaupt in seiner Ansprache die Geehrten. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warnte als Gastgeber der diesjährigen Feierlichkeiten vor wachsenden Differenzen in der politischen Debatte zwischen Ost und West.
Der 3. Oktober wird in diesem Jahr in Kiel gefeiert. Die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt erwartet dazu für Donnerstag mehr als eine halbe Million Besucher. Prominente Gäste sind Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Das Motto lautet in diesem Jahr "Mut verbindet".
Der schleswig-holsteinische Regierungschef Günther mahnte im SWR, es sei eine gemeinsame Anstrengung nötig, damit kein großer Riss zwischen Ost und West entstehe. Die Stärke der AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg deute er noch nicht als Zeichen für ein Auseinanderwachsen. Günther räumte aber ein: "Klar hat das auch mit dem Gefühl zu tun, abgehängt zu sein." Dagegen anzukämpfen sei eine bundesdeutsche Aufgabe.
Bundespräsident Steinmeier ehrte am Mittwoch unter anderem den Rockmusiker Udo Lindenberg, die DDR-Bürgerrechtler Eva und Jens Reich, den Vorstandsvorsitzenden der Bundesstiftung Aufarbeitung, Rainer Eppelmann, und den Berliner Fotografen und Filmer Aram Radomski mit dem Bundesverdienstkreuz. Steinmeier würdigte die Ausgezeichneten als eine "großartige Mischung aus Bürgerrechtlern und friedlichen Revolutionären, Künstlern und Wissenschaftlern". Jede und jeder von ihnen habe sich besonders verdient gemacht um das Land. "Es waren mutige Bürgerinnen und Bürger, die damals vorangingen und sich ihre Freiheit erkämpften", betonte der Bundespräsident.
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), verwies in Berlin erneut auf die Erfolge beim Zusammenwachsen von Ost und West: "In gemeinsamen Anstrengungen haben alle Deutschen in den zurückliegenden drei Jahrzehnten viel bei der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West erreicht." Der Osten habe sich zu einem attraktiven, mittelständisch geprägten und international wettbewerbsfähigen Unternehmensstandort entwickelt. "Trotz großer Fortschritte ist an vielen Orten in den neuen Ländern jedoch Unzufriedenheit über eine gefühlte Benachteiligung zu spüren", räumte Hirte ein.
Laut einer Umfrage finden 80 Prozent der Ostdeutschen, dass ihre Leistungen vom Westen seit der Wiedervereinigung nicht ausreichend gewürdigt worden sind. 70 Prozent seien zudem unglücklich darüber, dass zu wenig "auf die Meinung der Menschen in Ostdeutschland" Rücksicht genommen werde, heißt es in einer repräsentativen Studie im Auftrag der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit". Für die Studie befragte das Institut Policy Matters den Angaben zufolge 1.029 Bürger in den fünf ostdeutschen Bundesländern und Berlin.