Experte: Immer noch hohe Zahl von Analphabeten in Deutschland

Experte: Immer noch hohe Zahl von Analphabeten in Deutschland
04.09.2019
epd
epd-Gespräch: Thomas Krüger

Münster (epd). Zum Weltalphabetisierungstag (8. September) machen Selbsthilfegruppen, Bildungseinrichtungen und Fachleute mit bundesweit 80 Aktionen auf die immer noch hohe Zahl an Analphabeten aufmerksam. Nach jüngeren Studien könnten rund 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland trotz Schulbesuch nicht richtig lesen und schreiben, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung, Ralf Häder, in Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd). Erfreulich sei aber, dass das Thema in der Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren breiteren Raum einnehme, sagte der Experte.

Weil Analphabetismus kein Tabu-Thema mehr sei, wagten sich auch viel mehr Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten "aus der Deckung", betonte Häder. So suchten deutlich mehr Betroffene Rat am "Alfa-Telefon" des Bundesverbandes. Aber auch Menschen, die im Beruf mit Analphabeten zu tun hätten, wie etwa Ärzte in Krankenhäusern, holten sich dort Informationen.

Auch das Angebot an Kursen für Betroffene sei größer geworden, erreiche aber nur etwa 0,5 Prozent der Analphabeten, erklärte Häder. Es gebe mittlerweile weitere individuelle Hilfsangebote, Online-Programme und Unterstützung am Arbeitsplatz. Gute Hilfen seien zudem die Bereitstellung von Texten in leichter Sprache oder Vorlese-Funktionen im Internet.

Analphabetismus könne zum einen entstehen, wenn Lesen und Schreiben im Elternhaus einen nur geringen oder gar keinen Stellenwert haben, erläuterte der Fachmann. Nicht selten werde außerdem in Grundschulen ein Förderbedarf für Kinder mit Lese- und Schreibschwierigkeiten nicht erkannt. Aber auch Schicksalsschläge wie der Tod eines Elternteils oder die Trennung der Eltern könnten dazu führen, dass ohnehin zurückhaltende Kinder und Jugendliche sich vom Lernen noch weiter zurückziehen und isolieren.

Die Bandbreite der Veranstaltungen rund um den Weltalphabetisierungstag am 8. September reicht nach Angaben Häders vom Lesepicknick oder "Frühstück mit Zeitung" über Ausstellungen, Filmvorführungen und Lesungen bis hin zu Podiumsdiskussionen und Fachtagungen. Alle Termine sind im Internet auf einer interaktiven Karte abrufbar, wie es hieß.

Der Aktionstag wurde 1966 von der Unesco ins Leben gerufen. Weltweit können nach Angaben der UN-Bildungsorganisation 750 Millionen Menschen über 15 Jahre nicht lesen und schreiben. Der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung mit Sitz in Münster bietet seit 35 Jahren Hilfen für sogenannte funktionale Analphabeten in Deutschland an, die trotz Schulbesuchs erhebliche Lese- und Rechtschreibschwächen haben.