Frankfurt a.M. (epd). Mehrere Hundert Menschen haben mit einem gemeinsamen Gebet am Dienstagabend auf dem Bahnhofsvorplatz in Frankfurt am Main des getöteten achtjährigen Jungen gedacht. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Gedanken von Hass um uns greifen", sagte Jutta Jekel, Pfarrerin der unweit des Bahnhofs gelegenen Evangelischen Hoffnungsgemeinde. "Gott hat uns geschaffen für das Mit- nicht das Gegeneinander." Der mutmaßliche Täter, ein 40-jähriger Familienvater mit eritreischer Staatsangehörigkeit aus der Schweiz, hatte das Kind am Montagvormittag auf das Gleis gestoßen. Der Junge war von einem ICE überrollt worden. Der Beschuldigte wurde am Dienstag dem Haftrichter vorgeführt.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, erklärte am Mittwochmorgen auf Facebook, er nehme innerlich Anteil an dem öffentlichen Gebet am Frankfurter Hauptbahnhof. "Wie kann ein Mensch so etwas tun?", fragte der bayerische Landesbischof. Der mutmaßliche Täter habe offensichtlich psychische Probleme gehabt. "Aber die Tat bleibt unfassbar." Laut Bedford-Strohm gibt es Berichte, wonach der Verdächtige Mitglied einer christlich-orthodoxen Glaubensgemeinschaft gewesen ist. "Umso rätselhafter ist die Tat."
Carsten Baumann, Leiter der ökumenisch geführten Frankfurter Bahnhofsmission, kritisierte, die Tat werde von einigen Menschen nun in den sozialen Medien genutzt, um die Spaltung der Gesellschaft weiter voranzutreiben. Der Junge sei tot. Ob der Täter Zuwanderer sei oder nicht, spiele keine Rolle, betonte Baumann. Es bleibe eine "sinnlose Katastrophe".
Die Fürbitten des Abends richteten sich an die Angehörigen des Kindes, aber auch an alle Mitarbeitende der Bahn, sowie an "alle, die diese brutale Tat mit ansehen mussten", wie die katholische Pastoralreferentin Beatrix Henrich von der Dompfarrei St. Bartholomäus sagte.
Auch Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) verurteilte die Tat aufs Schärfste. "Wir wollen, dass dieses Verbrechen aufgeklärt wird", sagte der Politiker vor Ort. Der Täter müsse seine gerechte Strafe erhalten. Gleichzeitig warnte auch Feldmann davor, das Verbrechen für politische Interessen zu missbrauchen.
Neben dem improvisierten Altar mit einem Blumenstrauß und einer Kerze lag ein Kondolenzbuch aus. Viele Besucher schrieben dort ihre Gedanken nieder. Gegen Ende der Andacht beteten alle Besucher gemeinsam das Vaterunser und fassten sich an den Händen. Den ganzen Abend lang legten Bahnreisende weiterhin Blumen und Kuscheltiere für den toten Jungen am Gleis sieben nieder.
Vor dem offiziellen Beginn der Andacht war die Stimmung auf dem Bahnhofsvorplatz aufgeheizt. Bündnisse wie "Aufstehen gegen Rassismus" waren mit Transparenten und Fahnen zum Bahnhof gekommen. Darauf stand unter anderem "Flüchtlinge willkommen". Einige Passanten lieferten sich mit ihnen lautstarke Diskussionen über Zuwanderung. Die Polizei war mit einem Großaufgebot angerückt. Während der Andacht waren im Hintergrund immer wieder Sirenen zu hören.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt und Bundespolizeipräsident Dieter Romann hatten am Dienstag weitere Einzelheiten über den Tatverdächtigen bekanntgegeben. Der Mann ist demnach verheiratet und hat drei Kinder. Er lebt seit 2006 in Schweiz, hat dort Asyl erhalten, Arbeit gefunden und habe als gut integriert gegolten. Allerdings habe er jüngst eine Nachbarin massiv mit einem Messer bedroht und sei deshalb zur Festnahme ausgeschrieben gewesen. Der deutschen Polizei hätten keine Angaben über ihn vorgelegen. Der 40-Jährige sei erst vor wenigen Tagen mit dem Zug von Basel nach Frankfurt gekommen. Das Tatmotiv sei noch unklar. Die Behörden ermittelten in alle Richtungen.