Frankfurt a.M., Rom (epd). Die Festsetzung der Kapitänin des Seenotrettungschiffs "Sea-Watch 3", Carola Rackete, facht die Diskussion um eine gesamteuropäische Lösung für Mittelmeer-Flüchtlinge erneut an. Die Bundesregierung unterstrich am Montag, "dass wir zu einem geregelten und transparenten Verfahren kommen wollen", wie die stellvertretene Regierungssprecherin Martina Fietz sagte. Ein Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte, man sei nicht zufrieden mit der derzeitigen Situation. Unterdessen überstellten die italienischen Behörden die 31-jährige Rackete von Lampedusa ins sizilianischen Agrigent, wo sie laut der Hilfsorganisation Sea-Watch einem Untersuchungsrichter vorgeführt wird. Sea-Watch rechnet bis Dienstag mit einer Entscheidung, ob ihr Freiheitsentzug fortgesetzt wird.
Rackete war in der Nacht zum Samstag mit 40 Flüchtlingen an Bord und nach zwei Wochen vergeblichen Bittens zur Landung ohne Erlaubnis der italienischen Behörden in den Hafen von Lampedusa eingelaufen und daraufhin unter Hausarrest gestellt worden. Die Migranten durften an Land. Mehrere EU-Länder hatten zuvor deren Aufnahme angeboten, darunter auch Deutschland.
Nach Angaben von Ekkehart Rackete war seine Tochter Carola während des Hausarrest bei einer Sea-Watch-Mitarbeiterin vor Ort gut untergebracht. Ihm zufolge war Carola Rackete nach reiflichen Überlegungen vor drei Wochen nach Malta aufgebrochen, um die "Sea-Watch 3" zu übernehmen. "Sie war sich der Tragweite bewusst und hat vorher Kontakt mit einer Rechtsanwältin aufgenommen", sagte der Vater dem epd.
Im Freundes- und Bekanntenkreis sei die Resonanz auf die Aktion seiner Tochter ausnahmslos positiv gewesen. Sea-Watch-Aktivisten und Sprecher Chris Grodotzki gewann zudem den Eindruck, dass es auch bei den Behörden vor Ort Solidarität mit Rackete gebe. In den Sozialen Netzen lobten viele die Entscheidung der Kapitänin.
Die "Sea-Watch 3" hatte am 12. Juni 53 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet. In mehreren Fällen nahmen die italienischen Behörden Kranke und Babys auf, verweigerten jedoch die Einfahrt des Schiffes nach Lampedusa. Am Mittwoch rief Rackete angesichts des verzweifelten Zustands der verbliebenen Flüchtlinge den Notstand aus und fuhr in italienische Hoheitsgewässer. Laut Grodotzki sind Häfen verpflichtet, Schiffe im Notstand aufzunehmen. Aber auch daraufhin hätten die italienischen Behörden nicht reagiert. "Das ist ein starkes Stück", sagte er. Das Schiff selbst wurde von den italienischen Behörden beschlagnahmt.
Nach Angaben einer Sprecherin des Auswärtigen Amts wurde Rackete konsularische Betreuung angeboten, die sie bislang nicht angenommen habe. Nach einem Spendenaufruf der TV-Moderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf kamen für Rackete bis zum Montagnachmittag allein auf der Spendenplattform Leetchi fast 800.000 Euro zusammen.
Unter anderen verurteilten Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) die Reaktion der italienischen Behörden. Ein Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte, für die schnelle und zuverlässige Ausschiffung Geretteter brauche es eine europäische Lösung. Diese hänge nicht zuletzt mit der Reform des europäischen Asylsystems zusammen. Darüber verhandeln die EU-Staaten seit Jahren ohne Erfolg.
Unterdessen riefen Hilfsorganisationen in mehreren Städten Deutschlands vor den diplomatischen Vertretungen Italiens zu Solidaritätsbekundungen für Carola Rackete auf. In Berlin versammelten sich rund 50 Teilnehmer zu einer Mahnwache vor der italienischen Botschaft, laut "Seebrücke Frankfurt" protestierten in der Main-Stadt mehrere Hundert Menschen vor dem italienischen Konsulat. Die Proteste sollen auch die nächsten Tage anhalten.