"Die Grenzen zwischen Fest- und Alltag, Ruhe und Arbeit, Verzicht und Genuss haben sich weitgehend aufgelöst", sagte der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, dem Evangelischen Pressedienst. "Die meisten Menschen leben ein weitgehend nivelliertes Leben." Einzig Weihnachten habe noch die Funktion einer echten Schwelle im Jahreslauf.
Diese Entwicklung spiegelt sich nach Angaben von Petra-Angela Ahrens vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD statistisch in den Besucherzahlen der Kirchen wider. So besuchten an einem normalen Sonntag etwa 3,5 Prozent aller evangelischen Kirchenmitglieder einen Gottesdienst. Am Karfreitag, dem vor allem in der evangelischen Kirche hohe Bedeutung zukommt, seien es rund 4,1 Prozent. An Heiligabend hingegen gingen jedes Jahr rund 37 Prozent aller Protestanten in die Kirche.
Kein gemeinsamer Nenner mehr
Die Oberkirchenrätin und Referentin für empirische Kirchen- und Religionssoziologie sieht noch weitere Traditionsabbrüche. "Durch die Pluralität in der Gesellschaft entzündet sich insbesondere um die stillen Feiertagen wie Karfreitag und das Tanzverbot immer wieder heftiger Streit." Die Kirchen müssten damit rechnen, dass sich an diesen Tagen "einiges lockern wird". Kirchliche Feiertage hätten insofern noch eine Bedeutung, als dass sie arbeitsfrei seien, betonte Ahrens. "In ihrer Gestaltung gibt es aber keinen gemeinsamen Nenner mehr."
Claussen sieht in dieser Entwicklung auch eine Chance für Kirchen. "Nicht die Kirche füllt die Feiertage mit Bedeutung, die Menschen tun dies", sagte der Theologe. Die Kirche könne weiterhin Anregungen geben und als Gastgeberin auftreten. Dabei biete beispielsweise der arbeitsfreie Reformationstag einiges Potenzial: "Das kulturelle Erbe der Feiertage müssen die Menschen sich aber selbst aneignen."