Von Gott gebärden und verstanden werden

Begriff Gottesdienst in Gebärdensprache
© epd-bild/Timo Lechner
Die angehenden gebärdensprachlichen Lektoren aus Bayern mit Pfarrer Horst Sauer (hinten links). Auf dem Gruppenbild gebärden sie das Symbol für den Begriff Gottesdienst.
Von Gott gebärden und verstanden werden
Zehn Gehörlose haben jetzt in Nürnberg einen theologischen Grundkurs zum "gebärdensprachlichen Lektor" absolviert

In der Kirche predigt nicht immer nur der Pfarrer - Gottes Wort kann man in der evangelischen Kirche auch aus dem Munde ausgebildeter, ehrenamtlicher Laien, sogenannter Lektoren, hören. Wie ist es aber, wenn man nicht hören kann? 14 Wochenenden lang lernten zehn Mitglieder der Evangelisch-Lutherischen Gebärdensprachlichen Kirchengemeinde (EGG) in Nürnberg, wie man biblische Lesungen und theologische Inhalte in Gebärdensprache übersetzt. Neue Gebärden wurden erfunden, um Glauben besser verstehbar zu machen.

Pfarrer Horst Sauer bei der Ausbildung. Zusammen mit der Katechetin Brigitte Schmidt hat er neue Gebärden für theologische Inhalte erfunden.

Die neuen Lektoren aus ganz Bayern wollen mehr wissen von Gott, Jesus und dem Geschehen in der Bibel. Verstehen, warum Jesus so und nicht anders handelt und wie die Personen der Bibel das eigentlich meinen, was sie da sagen. "Gebärdensprache ist ihre Muttersprache. Daher wollen die gehörlosen gebärdensprachlichen Lektoren nicht nur in Bibel nachlesen und gehörlose Gottesdienstbesucher das Wort auch in Gebärden ausgelegt bekommen", erklärt Horst Sauer. Der Gehörlosenseelsorger aus Winterhausen bei Würzburg hat zusammen mit Katechetin Brigitte Schmidt den ersten Lektorenkurs der EGG auf die Beine gestellt.

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Mit dem Verstehen der Bibel hatte auch Katina Geißler aus Nürnberg lange Zeit Probleme. "Bei der Konfirmation habe ich kaum etwas davon verstanden, was da um mich herum geschieht, trotz Unterstützung in Laut- und Gebärdensprache", gebärdet die junge Frau, während Horst Sauer übersetzt. Brigitte Schmidt weiß genau, was Katina meint: Ein Dolmetscher übersetzt die Lautsprache meist eins zu eins in die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Aus einem aus zwei Hauptwörtern zusammengesetzten Begriff wie "Gottes-dienst" wird in wörtlicher Übertragung eben "Gott" und "Dienst", wobei die inhaltliche Verbindung fehlt - die Übersetzung wird schief. Noch verwirrender wird es bei einer Metapher wie "Heiland". Aus den beiden Gebärden für "Heil" und "Land" auf diese Bezeichnung für Jesus als Erlöser der Menschen im Sinne der christlichen Heilslehre zu kommen, das setzt einiges an Vorbildung oder Fantasie voraus.

Lernvideos zum Einüben

Neue biblische und theologische Gebärden mussten her, die bei gebärdensprachlich kompetenten Menschen nicht neue Fragen aufwerfen. Daher werden beispielsweise bei "Gottesdienst" jetzt nicht mehr zwei selbstständige Gebärden verwendet sondern eine einzelne, fließende, bei der auch der Laie versteht, dass "Gott zu uns Menschen kommt und uns im Gottesdienst dient". "Was wir hier lernen, ist im Prinzip nichts anderes als die Fachsprache der Bibel", erklärt Schmidt. 

Die Evang.-Luth. Gebärden­sprachliche Kirchen-Gemeinde in Bayern bietet Erklärvideos in Gebärdensprache für feste Teile im Gottesdienst-Ablauf.

Für den Nürnberger Stephan Franz sind die neuen Ausdrucksformen nicht nur ein Mittel für sich persönlich und sein Amt als gebärdensprachlicher Lektor, sondern auch unerlässlich für sein anderes Ehrenamt: Als Hospizbegleiter komme er mit Gehörlosen zusammen, die am Ende ihres Lebens gerade von den Menschen auf Trost angewiesen sind, deren Muttersprache auch die Gebärdensprache ist. Anders Stefan Koch: Er will künftig in seinem Gemeindeteil in Augsburg die Gottesdienste bereichern, nutzt das Erlernte aber auch gleich noch für seine Stadtführungen für Gehörlose durch seine Heimatstadt.

Die neuen Gebärden kommen nicht von ungefähr. Über zwei Jahre haben Schmidt und Sauer biblische Lesungen studiert und darüber reflektiert, wie der Sinn in Gebärdensprache gut zu vermitteln ist. "Wir haben die Bibel aufgeschlagen und gemeinsam Texte gelesen und in Gebärdensprache übersetzt. Wenn Brigitte gemerkt hat, dass sie etwas nicht versteht, hat sie Einspruch eingelegt. Dann haben wir gemeinsam nach neuen Bildern gesucht", erläutert Sauer den Prozess.

In Lernvideos kann man die Ergebnisse immer wieder aufs Neue anschauen und üben. Wenn die zehn Lektoren nun in ihren Gemeinden starten, dann kennen sie nicht nur die Bibel, sondern auch die Sakramente und Bekenntnisse, das Kirchenjahr, Kirchen- und Konfessionskunde, die Bedeutung der einzelnen gottesdienstlichen Elemente und die Liturgie.

Susanne Binder, Gemeindesprecherin aus Erlangen, gebärdet es auf den Punkt: "Ich will endlich verstanden werden, wenn ich von Gott erzähle."  17 Gemeindeteile gehören zur bayernweiten EGG, die seit dem 1. Januar 2017 eine eigenständige Kirchengemeinde der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche ist. Diese findet man vorwiegend in den drei fränkischen Regierungsbezirken sowie mit Augsburg in Schwaben und München in Oberbayern auch darüber hinaus. Die gebärdensprachlichen Lektoren werden in den jeweiligen Gemeindeteilen eingesetzt.