Angesichts rechtspopulistischer Kritik am Umgang mit der Geschichte erklärten die Spitzenvertreter der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Rabbinerkonferenzen am Donnerstag in Frankfurt, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus gehöre unverzichtbar zur politischen Kultur Deutschlands und Europas.
Der Erfolg der Demokratie in Deutschland sei auch dem Gedenken zu verdanken, das "weder das Unrecht der Vergangenheit noch das antisemitische und menschenverachtende Erbe der NS-Zeit verschweigt", betonten die Religionsvertreter nach einem Treffen. Der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, Andreas Nachama, erklärte, die Einschätzung, dass die Erinnerungskultur überfrachtet sei, finde sich schon in den 50er Jahren. Genau deswegen sei die gemeinsame Erinnerungsarbeit wichtig. Völkermorde seien geschehen und könnten wieder geschehen; die Aufgabe aller sei es heute, "dafür zu sorgen, dass so etwas möglichst nie wieder geschieht."
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An dem Frankfurter Treffen nahmen neben Nachama auch der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr für die katholische Bischofskonferenz teil. Die interreligiösen Gespräche in diesem Rahmen finden seit 2006 statt, diesmal stand die Zukunft der Gedenkkultur im Zentrum.
Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm unterstrich, wie wichtig die jüdisch-christliche Überlieferung für eine öffentliche Erinnerungskultur sei. Indem die Kirche gemeinsam mit Juden öffentlich für das Gedächtnis der Opfer der Geschichte eintrete und verhindere, dass diese vergessen würden, schaffe sie die Voraussetzung für ein Erinnern, "das gerade durch die Würdigung und Anerkennung vergangenen Leidens neues Leiden verhindert".
Bischof Neymeyr forderte, auch auf kirchliche Traditionen einen kritischen Blick zu richten, "um das Erbe antijüdischer Vorurteile zu überwinden". Da liege noch ein weiter Weg vor der Kirche, denn viele Katholiken hätten immer noch falsche Vorstellungen vom Judentum.
Rechtsradikale, Populisten und Vertreter der Neuen Rechten kritisieren die deutsche Erinnerungskultur, besonders das Gedenken an den Holocaust, als "Schuldkult". Der Begriff gehört zu einem geschichtsrevisionistischen Denken, das die deutsche Verantwortung für NS-Verbrechen abstreitet oder verharmlost.
Der Frankfurter Rabbiner Julian-Chaim Soussan von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland wies darauf hin, dass es nicht nur um den Umgang mit der Vergangenheit gehe. Die Juden dürften in der öffentlichen Wahrnehmung nicht auf eine Opferrolle festgelegt werden, sagte Soussan. Vielmehr gelte es, den Reichtum der jüdischen Tradition und die Lebendigkeit des Judentums heute stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern.
Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz ist ein Zusammenschluss aller orthodoxen Rabbiner in Deutschland mit Sitz in Köln. Die Allgemeine Rabbinerkonferenz, ein Gremium des Zentralrates der Juden in Deutschland, repräsentiert Rabbiner und Rabbinerinnen, die in jüdischen Einheitsgemeinden oder in liberalen Gemeinden tätig sind. An der Begegnung in Frankfurt nahm auch der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit teil.