"Christus gibt an keiner Stelle auch nur irgendeine Hilfestellung für uns Politiker", so Nahles. Wer aus einer christlichen Haltung heraus versuche, anderen Menschen gegenüber immer Gesprächskanäle offenzuhalten, mache sich damit auch verletzlicher. "Christsein ist nichts, was einen vor der Wucht der Kritik schützt, im Gegenteil", sagte die Politikerin vor rund 100 Zuhörern. Besonders in Berlin seien viele Berufspolitiker über die Jahre deshalb zu Zynikern geworden. Auf die Frage, was ihre Partei von den Kirchen lernen könnte, nannte sie den achtsamen zwischenmenschlichen Umgang miteinander. Die Parteien wiederum könnten den Kirchen als Vorbild darin dienen, Veränderungen durchzusetzen und dafür Kompromisse auszuhandeln.
Ihre eigene katholische Kirche nahm Nahles gegen pauschale Kritik in Schutz. Die katholische Kirche sei unter Papst Franziskus liberaler geworden. Protestanten dürften sich nicht in der Vorstellung ausruhen, sie seien die fortschrittlichere Konfession: "Ich habe schon unheimlich viele konservative Evangelikale getroffen, und kenne so viel 'Pietcong' bei Euch." Auch in der katholischen Kirche werde es irgendwann einmal Priesterinnen geben, versicherte sie und warb für Verständnis, dass eine Weltkirche nicht schnell zu reformieren sei. "Erst vor einigen Jahren hat der Papst offiziell festgestellt, dass es keine Lindwürmer gibt. Manchmal braucht das etwas."
Auf Nachfrage aus dem Publikum sagte Nahles, sie stehe fest dazu, den konfessionellen Religionsunterricht an Schulen beizubehalten. Sie halte nichts davon, Grundlagen des Glaubens wie eine "völkerkundliche Einführung" zu vermitteln: "Dieses Lirum, larum Löffelstiel, alles in einen Topf, da bin ich völlig dagegen." Leider fehle vielen Deutschen inzwischen jegliche Vorstellung davon, was Religion einem Menschen bedeuten könne, bedauerte sie. Nahles war in der Evangelischen Hochschulgemeinde Mainz Gast der Veranstaltungsreihe "Chat in the Church".