"Ich bin zuversichtlich, dass die leise, sanfte, aber differenzierte Stimme meiner Religion sich langfristig durchsetzen wird," sagt Karimi. Mit Blick auf die Entwicklung der islamischen Theologie plädierte der Wissenschaftler für eine "Reform ohne Reformer". Es sei falsch, darauf zu hoffen, dass der Islam "von einer einzelnen Lichtgestalt" reformiert werden könne.
Dafür sei das Leben im 21. Jahrhundert viel zu komplex, sagte Karimi, der am Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster lehrt: "Ich setze kompromisslos auf Wissenschaft und denke, dass wir in einigen Jahren junge islamische Theologen haben werden, die dialogfähig und in ihrer eigenen Tradition gut ausgebildet sind, aber zugleich mit größtem Respekt vor anderen Traditionen leben."
Der Religionsphilosoph räumte zugleich ein, dass auch eine "militante Lesart" des Korans sehr wohl möglich sei. "Im Grunde lesen Leute wie Thilo Sarrazin und die Salafisten den Koran auf ähnliche Weise", sagte er. "Sie sind der Meinung, man müsse nur eine Übersetzung des Korans aufschlagen und dann vollstrecken, was dort steht. Das ist aber eine erschreckende Hybris." Für eine Lesart des Korans, die Gläubige auf Werte wie Frieden, Gerechtigkeit und Zuversicht verpflichtet, ließen sich gute Argumente finden. Fundamentalisten könnten hingegen mit ihrer militanten Auslegung "der kultivierten islamischen Geistestradition nicht standhalten".
Ohnehin könne im Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht dieselbe Interpretation des Korans zur Geltung kommen, wie im Bagdad des 11. Jahrhunderts. Denn in diesem Fall wäre die heilige Schrift des Islam "historisch verloren". "Würde es eine einzige richtige Lesart geben, dann könnte man eine Art Gebrauchsanleitung für den Koran fordern", sagte Karimi. "Dann würde man den Koran aber mit einer Waschmaschine verwechseln."