Gen-Versuche in China lösen Debatte um Wissenschaftsfreiheit aus

Gen-Versuch
Foto: dpa/Mark Schiefelbein
Eine Mikroplatte mit Embryonen in einem Labor in Shenzhen in der südchinesischen Provinz Guangdong.
Gen-Versuche in China lösen Debatte um Wissenschaftsfreiheit aus
Die Berichte über die mutmaßliche Geburt erster genmanipulierter Babys in China haben eine neue Wertedebatte ausgelöst. Der Wiener evangelische Sozialethiker Ulrich H. J. Körtner stellt grundsätzlich die Frage, "wie die Gesellschaft insgesamt in die komplexe biopolitische und bioethische Debatte eingebunden werden kann".

Die gesellschaftlichen und kulturellen Folgen, wenn das Leben immer mehr als technisches Produkt statt als Gabe verstanden werde, "seien gravierend", erklärte der Theologieprofessor am Mittwoch in Wien. Wissenschaftsfreiheit sei ein hohes Gut, aber "sie hat ethische Grenzen".

Was bedeutet Menschsein?

"Die entscheidende Frage lautet, was es künftig heißt, ein Mensch zu sein, und wer wir sein wollen", so Körtner, Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien: "Wer gibt Menschen das Recht, über andere Menschen und über das Schicksal von Ungeborenen zu verfügen?" Die Achtung vor dem Menschen und seiner Würde bedeute, ihn zu verschonen.

"Je mehr das biomedizinische Wissen wächst, desto größer wird das Nichtwissen, und desto mehr braucht es in Forschung und Weltgestaltung eine Haltung der Demut", so Körtner. "Auf dem Spiel steht nicht nur unser Verständnis der Menschenwürde. Es stellen sich auch Fragen zum Tierschutz und zur Tierethik", fügte der Theologe hinzu, der auch Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien ist.

Wissenschaftsbetrug und Sensationsdrang

Sollte die Geschichte um die Manipulationen an der menschlichen Keimbahn erfunden sein, "wäre dies ein Fall von Wissenschaftsbetrug. Getrieben von zügellosem Ehrgeiz machen unseriöse Forscher immer wieder mit Sensationsmeldungen von sich reden; etwa mit der Behauptung, ein geklontes Kind zur Welt gebracht zu haben", kritisierte Körtner. Sollte die Geschichte aus China allerdings stimmen, wäre sie erst recht ein Wissenschaftsskandal. Menschen mit Hilfe von Gen-Scheren maßzuschneidern, gelte international zu Recht als Tabu.

Offenbar genügten ethische Selbstverpflichtungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften nicht in jedem Fall, damit ethische Regeln auch wirklich eingehalten werden, gab Körtner zu bedenken. Die staatliche Gesetzgebung stößt an Grenzen, weil Forschung heute global vernetzt betrieben wird. Doch gebe es zu weiteren Anstrengungen, die Einhaltung internationaler Forschungsstandards durchzusetzen, keine Alternative.

Ethische Besinnung und breite Diskussion

Die Berichte über die umstrittene Genforschung in China haben auch Kirchenvertreter in Deutschland alarmiert. Der Ethikexperte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Weihbischof Anton Losinger, forderte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch) für die Biogenetik "ähnliche Schutzstandards wie bei den Menschenrechten". "Sonst stehen am Ende Perfektionierung und Selektion", warnte er. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte der Zeitung, es brauche eine "intensive ethische Besinnung in der Gemeinschaft der Forschenden" und eine breite Diskussion in Kirche und Gesellschaft.

Ein chinesischer Forscher hatte am Sonntag erklärt, mit Hilfe der sogenannten Gen-Schere das Erbgut von Embryonen so verändert zu haben, dass sie nicht an Aids erkranken könnten. Die Zwillinge sollen vor einigen Wochen auf die Welt gekommen sein. Bislang galten solche Experimente auf dem Weg zum "Designerbaby" als Tabu. Die betroffene Southern University in Shenzhen (China) reagierte mit Unverständnis auf die Versuche und kündigte eine genaue Untersuchung an.



Der betroffene Wissenschaftler Forscher Jiankui He befinde sich seit Februar in unbezahltem Urlaub, teilte die Universität mit. Die Versuche hätten außerhalb des Universitätsgeländes stattgefunden und seien weder der Universitätsleitung noch dem Biologie-Institut gemeldet worden. Diese Experimente am menschlichen Erbgut hätten die Standards akademischer Ethik ernsthaft verletzt, erklärte die Hochschule.