Die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat von der evangelischen Kirche eine umfassende und unabhängige Aufarbeitung sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen gefordert. Fälle von Missbrauch in einzelnen Institutionen in ihrer Trägerschaft und durch ihre Amtsträger ließen auf strukturelle Ursachen in der Kirche schließen, sagte die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen am Mittwoch in Berlin. Kurz vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichte die Kommission eine Stellungnahme mit konkreten Empfehlungen an die evangelische Kirche. Das Thema sexueller Missbrauch steht auf der Tagesordnung der EKD-Synode, die vom 11. bis 14. November in Würzburg zusammenkommt.
Die Aufarbeitungskommission empfiehlt, eine eigene wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben, vergleichbar mit der Untersuchung, die von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz vorgelegt wurde. Ob sich auch die evangelische Kirche zu solch einer Studie entschließt, ist noch offen. Wiederholt wird in den Empfehlungen die Forderung nach Kooperation mit dem Staat bei der Aufarbeitung. In den Empfehlungen findet sich zudem die Forderung, auf Täter "mit allen Mitteln des Strafrechts zu reagieren" und auch interne Disziplinarverfahren extern überprüfen zu lassen.
Hinsehen, hinhören und glauben
"Ich erwarte und verlange von meiner Kirche, dass sie sich nun einer unabhängigen Aufarbeitung stellt und die Archive öffnet", sagte die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) dem Portal "evangelisch.de". Bergmann ist Mitglied in der Aufarbeitungskommission und engagiert in der evangelischen Kirche. Zuletzt wirkte sie am Grundlagentext zum Familienbild der Kirche mit. Die evangelische Kirche sollte ihre Haltung gegenüber Missbrauch in den eigenen Institutionen ändern, sagte Bergmann. "Es ist eine Offenheit nötig, hinsehen, hinhören und glauben zu wollen", sagte sie.
Die EKD begrüße die Initiative der Kommission, sagte ein Sprecher der EKD. Der neue Beauftragtenrat der EKD, der sich mit dem sexuellen Missbrauch befasst, wollte sich in seiner Sitzung am Mittwoch mit den Vorschlägen der Kommission befassen. Man wolle die enge Zusammenarbeit mit dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, fortsetzen. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm habe Rörig zu der Ratssitzung im Dezember eingeladen, teilte der Sprecher mit.
Ein offizielles Amt "möglichst im Bischofsrang"
Die Kommission fordert in ihrer Stellungnahme, für die Aufarbeitung Einblick in Akten und Archive zu gewähren und einen gezielten Aufruf an Betroffene zu starten, um Geschehenes zu dokumentieren. Neben einer zentralen Anlaufstelle für Opfer von Missbrauch empfiehlt die Aufarbeitungskommission, eine konkrete Person als Ansprechpartner für betroffene Gemeinden und Einrichtungen einzusetzen: Die EKD bräuchte das Amt eines oder einer offiziellen Beauftragten "möglichst im Bischofsrang". Die Landeskirchen sollen zudem von sich aus Aufarbeitungsprozesse nach verbindlichen Kriterien vorantreiben. Die Situation in den 20 Gliedkirchen ist derzeit sehr unterschiedlich.
Betroffene von Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen hatte die Kommission im Juni zu einem Hearing in Berlin eingeladen. 22 Betroffene hatten sich bis dahin bei der unabhängigen Stelle gemeldet. Nach einer aktuellen Anfrage sind es inzwischen 31. Die EKD hat anlässlich der Synode bei den Landeskirchen abgefragt, wie viele Fälle dort bekannt sind. Nach Angaben der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sind es aktuell rund 480 Betroffene.
Die Aufarbeitungskommission wurde 2016 vom unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung berufen. Ihre Aufgabe ist es, Missbrauch in Institutionen und Familien zu untersuchen, Art und Ausmaß aufzuzeigen und für das Thema zu sensibilisieren.