Flugschriften sind Empörungsschriften – so war es in der Reformationszeit. Heute ist für publizistisches Wutgeschrei das Internet zuständig. Deshalb soll hier nicht gegen die Fremden und die Feinde des abendländischen Christentums gewettert werden. Doch über eine Sorge lohnt es sich, einmal öffentlich nachzudenken, allerdings nicht über die Gefahr einer islamischen Überwältigung, die gegenwärtig von einigen Mitmenschen heftig beschrien wird. Mich beschäftigt etwas ganz anderes: die große Macht Chinas.
Ihren globalen Machtanspruch will die chinesische Führung auch kulturell markieren. Dem dienen eine Neubelebung der konfuzianischen Weltanschauung und die Gründung von Konfuzius-Instituten überall auf der Welt. Sie verkünden die alt-neue Botschaft der Harmonie. Eine höhere Ordnung soll herrschen, die das Ganze der Gesellschaft in einer geradezu kosmischen Balance hält. Als Europäer fragt man sich, ob dies nicht bloß eine ideologische Maskierung brutaler Herrschaft ist.
Konfuzius und die Freiheit des Einzelnen
Schaut man aus der Ferne auf die chinesische Geschichte, sieht man heftigste Verwerfungen, die im Namen der Harmonie mit äußerster Gewalt abgestellt wurden. Und schaut man auf die Zukunftstechnologien, die eine vollständige Überwachung der Bürger ermöglichen und die von der chinesischen Führung massiv eingesetzt werden, fragt man sich, wo Individualität, Abweichung und Protest bleiben sollen. Angesichts der neuen chinesischen Weltgeltung kommt man als Bewohner des kleinen, zerstrittenen Europas schon ins Grübeln darüber, wie es in Zukunft um die Freiheit des Einzelnen – immerhin auch ein Erbstück der Reformation – bestellt ist.
Da ist es gut, bei Konfuzius selbst nachzublättern. Viel schreibt er von Harmonie, Maß und Mitte, dem rechten Weg, Ruhe und Gelassenheit. Da begegnet einem eine beeindruckende humane Weisheit, auch wenn einem die politischen Folgen dieser Harmonielehre zweifelhaft bleiben. Wenn man dann Sätze liest wie "Die Liebe zu den Nächsten ist das Größte am Menschsein", dann kann einem das fast christlich erscheinen, und man denkt darüber nach, ob in der Vergangenheit die Europäer den Chinesen eigentlich besonders christlich begegnet sind (leider eher nicht!).
Da wäre es interessant, sich einmal mit einem chinesischen Christen zu unterhalten – das heutige China ist ein Land, in dem das Christentum wächst –, um zu hören, wie sie zum einen das Wertvolle ihrer uralten Kultur bewahren und zum anderen im christlichen Glauben eine Kraft finden, die ihnen hilft, ihre innere Freiheit zu behaupten.