Bei einer Gedenkstunde der Bundesregierung zum gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 haben sich am Freitag in Berlin die Familienangehörigen der NS-Widerständler "aufs Schärfste" von der Vereinnahmung und Instrumentalisierung des deutschen Widerstandes durch Rechtspopulisten distanziert. "Das ist nichts anderes als Missbrauch", sagte der Vorsitzende der Stiftung 20. Juli 1944, Robert von Steinau-Steinrück, zum Auftakt der Feierstunde in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendlerblock. Deren Agieren und deren Sprache sei totalitär, "der Widerstand aber war gerade antitotalitär".
Bereits zuvor hatten die 400 Nachfahren in einem im Berliner "Tagesspiegel" (Freitag) veröffentlichten Appell vor nationalen Alleingängen und der Gefährdung eines geeinten Europas gewarnt. "Wir möchten an diesem Tag an den Mut und die visionäre Kraft unserer Eltern, Urgroß- und Großeltern, Onkel und Tanten erinnern und hoffen, dass nationale Alleingänge nicht das geeinte, starke, friedliche Europa gefährden, das sie für sich, uns und unsere Kinder erhofft hatten", hieß es.
Appell gegen Populismus
Statt gemeinsam an den Herausforderungen der Zukunft zu arbeiten, erhielten Populisten mehr und mehr Zulauf, rüsteten Politiker verbal auf und setzten auf Abschottung. Das sei nicht das Vermächtnis, das die NS-Widerständler im Sinn hatten, heißt es in dem Appell.
Der amtierende Bundesratspräsident, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, und Außenminister Heiko Maas (beide SPD) dankten den Angehörigen für die deutlichen Worte. "Ihre Botschaft kommt zum richtigen Zeitpunkt", sagte Müller: "Danke, dass Sie das Gedenken an ihre Lieben mit dem Aufruf für ein geeintes Europa verbinden." Der wichtigste Schlüssel zur Mobilisierung der eigenen Widerstandskräfte sei das Wissen um die Geschehnisse, die Mechanismen der Diktatur und ihre Motive.
Außenminister Maas sagte, heute beriefen sich ausgerechnet diejenigen auf ihr "Recht zum Widerstand", die Volksvertreter lautstark als "Volksverräter" schmähten, die Erinnerung als "Schuldkult" abtäten und freie Medien als "Lügenpresse" diffamierten. "Ich finde das beschämend", sagte Maas.
Für ihn sei es unerträglich, dass die vom 1944 von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfer Josef Wirmer entworfene Fahne des 20. Juli auf Kundgebungen von Neonazis missbraucht werde. Dieses Symbol - ein Kreuz in den demokratischen Farben Schwarz, Rot und Gold - sollte über dem vom Nationalsozialismus befreiten Deutschland wehen und die Ideale verkörpern, für die die Frauen und Männer des 20. Juli ihr Leben gaben.
Beide würdigten die Widerstandskämpfer um den Wehrmachtsoberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg, deren Wille zur Freiheit eines der Motive für ihr Attentat auf Hitler gewesen sei. "Wir stehen heute hier voller Ehrfurcht vor der Tat dieser Männer", sagte Müller.
Der damalige Aufstand der Anständigen sei nicht vergebens gewesen, sagte Maas. "Die Saat ist aufgegangen in unserem Grundgesetz, das die Würde des Menschen über alles andere stellt. Ihre Früchte sind unsere offene Gesellschaft und Deutschlands Ansehen in Europa und der Welt."
An der Feierstunde nahmen zahlreiche Politiker und Vertreter des öffentlichen Lebens teil, unter anderem Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD), Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, und Vertreter von Berliner Senat und Abgeordnetenhaus.
Am 20. Juli 1944 scheiterte das Attentat einer Gruppe um Stauffenberg auf Adolf Hitler. Er und vier Mitverschwörer wurden noch in der Nacht hingerichtet, weitere 140 Mitwisser traf es in den folgenden Tagen.