"Ich sehe die Chancen für private Rettungsorganisationen im Mittelmeer stark schwinden. Wir brauchen ein Wunder", sagt Chris Orlamünder. Der Ingolstädter ist bei der Flüchtlingsinitiative "Sea-Eye" für die Ausbildung zuständig. Zuvor hat er als Kapitän bereits mehrere Rettungsmissionen vor der libyschen Küste geführt.
An diesem Wochenende leitet er ein Crewtraining in Regensburg. Fast 40 Menschen aus ganz Deutschland sind gekommen, sie alle wollen noch in den nächsten vier Monaten an einer Rettungsaktion teilnehmen. Intensiv beschäftigen sie sich mit Funkgeräten, Brandlöschung auf Schiffen und Traumakunde.
Unsichtbares Sterben im Mittelmeer
Dabei ist derzeit kaum ein privates Rettungsschiff mehr auf dem Mittelmeer unterwegs. Nicht das von "Sea-Eye" noch von den Organisationen "Sea-Watch", "Mission Lifeline" oder SOS Mediterranée. Einige würden mit Verweis auf mangelnde Registrierung in den Häfen festgehalten. Andere, darunter die "Seefuchs" von "Sea-Eye", trauten sich aus Sorge vor juristischen Schwierigkeiten nicht mehr auszulaufen. Auch Aufklärungsflugzeuge halten die maltesischen Behörden zurück. "Die Politik will, dass wir aufhören. Das Sterben im Mittelmeer soll unsichtbar werden", sagt Orlamünder.
Die Teilnehmer des Crewtrainings bleiben aber optimistisch. Darunter sind Studenten und Abteilungsleiter, eine dezent geschminkte Dame mit Perlenkette, ein Mittvierziger mit langen, kaum gebändigten Locken. Julius Schosser, Notfallsanitäter aus Ulm, sagt, er hoffe sehr, dass sich die Situation wieder ändert. Der 24-Jährige will im Oktober zwei Wochen auf der "Seefuchs" mitfahren. Einfach, um irgendwie zu helfen.
Die Regensburger Psychologin Eva Raith-Ruder erklärt, der politische Druck mache sie geradezu trotzig. "Jetzt müssen wir die fliehenden Menschen erst recht unterstützen." Die Not der Flüchtenden höre nicht auf, nur weil die Flüchtlingsrouten abgeschnitten würden.
Dass die Arbeit der privaten Seenotretter notwendig ist, belegen in der vergangenen Woche veröffentliche Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Demnach sind seit Februar 2018 jeden Monat weniger als 110 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Im Juni, als die neue italienische Regierung die Häfen für Rettungsschiffe schloss, stieg die Zahl der Ertrunkenen auf rund 630. In der ersten Juliwoche wurden bereits 120 Tote erfasst.
"Wir suchen, auch gemeinsam mit den anderen Organisationen, nach Lösungen", erklärt Gorden Isler, Pressesprecher und Vorstandsmitglied von "Sea-Eye". Er will die jetzige Lage nicht als unabänderlich betrachten. Die politische Situation in Italien könne auch schnell wieder anders aussehen.
Orlamünder ergänzt, dass er sicher ist, das Richtige zu tun. Als Segler habe er selbst schon einmal Schiffbruch erlitten. "Ich wünsche es niemanden, dem Tod durch Ertrinken gegenüberzustehen", erklärt er. Ihn habe zum Glück ein anderes Boot gerettet.