Angesichts der vielen Kriege in der arabischen Welt und in Afrika ruft das UN-Kinderhilfswerk Unicef zu mehr Hilfen für traumatisierte Kinder und Jugendlichen auf. "Alle zehn Minuten stirbt ein Kind im Jemen", sagte die Exekutivdirektorin der Organisation, Henrietta Fore, am Donnerstag in Berlin nach einem Besuch in dem Konfliktland auf der arabischen Halbinsel. Dort bestehe die derzeit schlimmste humanitäre Krise, betonte sie. Die Hälfte der Krankenhäuser sei geschlossen, in den übrigen arbeiteten Ärzte, Schwestern und Hebammen seit mindestens zwei Jahren ohne Gehalt. Vier von fünf Kindern - mehr als elf Millionen - seien auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Laut Unicef leben heute mehr als 250 Millionen Mädchen und Jungen in Ländern, die von gewaltsamen Konflikten betroffen sind. Das sei eines von vier Kindern auf der Welt. Nach sieben Jahren Krieg kenne in Syrien jedes dritte Kind keinen Frieden mehr. Mehr als 300 Schulen seien im Laufe des Konflikts dort angegriffen worden. Im Südsudan werden Schätzungen zufolge 19.000 Minderjährige von Milizen als Kämpfer, Helfer oder Sexsklaven missbraucht.
Die tiefen seelischen Verletzungen von Kindern im Krieg würden vielfach übersehen, sagte Fore. Ohne Hilfe könne "toxischer Stress" durch traumatisierende Ereignisse zu Aggressionen, Depressionen, Drogenmissbrauch bis hin zum Selbstmord führen. In diesem Jahr will Unicef daher knapp vier Millionen Kindern in Krisensituationen psychosoziale Hilfe anbieten - zum Beispiel im Irak, in Jordanien, Syrien, Somalia, im Libanon und Südsudan. Dabei gehe es auch um Sport-, Kunst- oder Spielangebote. 2017 habe Unicef mit solchen Maßnahmen fast drei Millionen Kinder erreicht.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) forderte mit Blick auf die aktuellen deutschen Diskussionen um Flucht und Migration, über die Grenzen von Deutschland und Europa hinauszublicken. Denn dort lägen die wahren Herausforderungen. Er wies auch auf eine im Jemen kursierende Epidemie hin: "Cholera ist zu stoppen, mit einfachsten Medikamenten", betonte er. Die reichen Länder trügen hier eine Verantwortung und es sei nicht nachvollziehbar, wenn sie nicht bereit seien, zu helfen.
Müller sprach sich zudem für einen Zehn-Milliarden-Euro-Krisenfonds aus, der durch UN-Mitgliedsstaaten permanent finanziert würde. Die Organisationen müssten dann nicht "mit dem Bettelbeutel" hinterherlaufen, sondern könnten vorausschauend handeln. Deutschland ist nach den USA zweitgrößter Geber von Entwicklungshilfe. Das Bundesentwicklungsministerium stellte nach eigenen Angaben 2017 insgesamt 3,5 Milliarden Euro bereit, um die Ursachen von Flucht und Vertreibung anzugehen. 230 Millionen Euro flossen demnach an Unicef-Projekte, die auf die Stärkung der mentalen Gesundheit abzielen.
Zugleich wurden in Deutschland laut Unicef im vergangenen Jahr mehr als 110 Millionen Euro an das Kinderhilfswerk gespendet - von fast einer halben Million Spendern. Exekutivdirektorin Fore sagte, dass trotz der heftigen Debatten über Migration und Asyl in Europa kein Mangel an Empathie zu spüren sei. Im Gegenteil: Wegen der steigenden Zahl an Krisen, hätten mehr Menschen den Willen, zu geben. Allerdings steige im Moment der Bedarf noch mehr als die Spenden.