EuGH: Gekündigter katholischer Chefarzt wurde diskriminiert

Miriam Doerr & Martin Frommherz
EuGH: Gekündigter katholischer Chefarzt wurde diskriminiert
Katholische Arbeitgeber dürfen nach Auffassung des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), Melchior Wathelet, bei katholischen Beschäftigten und Arbeitnehmern anderer Konfessionen grundsätzlich nicht mit zweierlei Maß messen. Es stelle eine unzulässige Ungleichbehandlung wegen der Religion dar, wenn einem katholischen Chefarzt wegen dessen Scheidung und Wiederheirat gekündigt wird, vergleichbaren anderen Beschäftigten anderer Religionen oder ohne Religion aber nicht, erklärte Wathelet am Donnerstag in Luxemburg. Der EuGH hält sich in seinen Urteilen in den allermeisten Fällen an die Einschätzung des Generalanwalts. Ein Urteil wird in drei bis sechs Monaten erwartet.

Im konkreten Fall ging es um einen seit Jahren laufenden Kündigungsrechtsstreit zwischen einer Düsseldorfer katholischen Klinik und einem katholischen Chefarzt. Der leitende Mediziner hatte sich in seinem Arbeitsvertrag zur Einhaltung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtet. 2005 ließ er sich von seiner ihm katholisch angetrauten Frau scheiden. Als der Chefarzt 2008 seine neue Partnerin standesamtlich heiratete, erfolgte die Kündigung. Er habe damit gegen die katholischen Grundwerte verstoßen, lautete der Vorwurf.

Nicht mit zweierlei Maß messen

Der Chefarzt hielt die Kündigung für rechtswidrig. Nach seiner Einschätzung wäre einem evangelischen oder konfessionslosen Chefarzt bei Wiederheirat nicht gekündigt worden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt gab ihm am 8. September 2011 zunächst recht (AZ: 2 AZR 543/10). Die katholische Klinik dürfe nicht mit zweierlei Maß messen. Das Bundesverfassungsgericht hob dieses Urteil am 22. Oktober 2014 allerdings wieder auf und verwies den Fall ans BAG zurück (AZ: 2 BvR 661/12). Die katholische Kirche habe das Recht, ihre eigenen Mitglieder schärfer zu sanktionieren als Nichtmitglieder. Das BAG sah jedoch in dem Fall die Möglichkeit, dass der Anspruch auf Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf nach EU-Recht verletzt sein könne und verwies ihn das das EuGH.



Mit dem Gutachten des Generalanwalts errang der Chefarzt einen Etappensieg. Generalanwalt Wathelet erklärte, dass die Kündigung des Chefarztes "als unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion" nach EU-Recht bereits offenkundig rechtswidrig wäre, wenn die Kirchen in Deutschland nicht eine rechtliche Sonderstellung hätten und auf ihr verfassungsrechtliches Selbstbestimmungsrecht pochen könnten. Doch nach EU-Recht sei dies nicht schrankenlos. Erst einmal muss Wathelet zufolge das BAG prüfen, ob es sich bei der katholischen Klinik tatsächlich um eine Einrichtung handelt, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn die katholische Klinik im Gegensatz zu öffentlichen Kliniken keine Abtreibungen vornehme und keine "Pille danach" verabreiche.

Erbringung der medizinischen Leistungen ist wesentlich

Verlange dann ein katholischer Arbeitgeber allein von katholischen leitenden Beschäftigten die Beachtung des katholischen Eheverständnisses und damit der katholischen Werte, sei dies nur zulässig, wenn dies für den Beruf erforderlich sei, sagte Wathelet. Dies sei bei dem Chefarzt aber nicht der Fall. Für Kollegen und Patienten sei die Erbringung der medizinischen Leistungen wesentlich und nicht die Frage, ob der Mediziner erneut geheiratet hat. Auch stelle die standesamtliche Wiederheirat "keine wahrscheinliche oder erhebliche Gefahr einer Beeinträchtigung des Ethos" der katholischen Klinik dar.