"Von einer klaren Verfassungswidrigkeit des Söderschen 'Kreuzzugs' mit der verwaltungsinternen Vorschrift, im Eingangsbereich von Dienststellen des Landes ein Kreuz anzubringen", könne mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "keine Rede sein", heißt es einem Beitrag Di Fabios für die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit".
Mit Urteil vom 18. März 2011 habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine staatlich auferlegte Pflicht zur Anbringung von Schulkreuzen mit dem Prinzip des säkularen Staates für vereinbar gehalten, erklärte Di Fabio. Der Gerichtshof sehe durchaus im Kreuz vor allem anderen ein religiöses Symbol und nicht lediglich ein kulturelles Zeichen eigener Herkunft und Identität. Und dennoch sei es "keinem Staat versagt, das religiöse Zeichen für sich als Symbol eigener Herkunft und Identität zu nutzen, solange daraus keine weltanschauliche oder religiöse Indoktrination werde", fügte der Jurist hinzu.
"Wer genau hinschaut, wird sehen, dass viele Menschen islamischen Glaubens und auch manche Atheisten ihre Kinder gerne in konfessionelle Kindertagesstätten oder Schulen schicken", schrieb Di Fabio weiter. Manche muslimische Familie fürchte "eine 'gottlose' Gesellschaft mehr als jede konkurrierende Religion". "Diese Familien geben ihre Kinder lieber in eine evangelische oder katholische Einrichtung, selbst wenn dort mit dem fremden Kreuzzeichen gebetet werden muss", erklärte er. "Vielleicht ist für sie ein Kreuz beim Betreten einer öffentlichen Behörde eher Beruhigung denn Provokation."
Das bayerische Kabinett hatte in der vergangenen Woche die allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats geändert. Im Eingangsbereich aller staatlichen Dienstgebäude muss ab 1. Juni als Ausdruck der "geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns" deutlich wahrnehmbar ein Kreuz als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung angebracht werden.