Wer in den Vereinigten Staaten Waffengewalt fürchtet, plädiert entweder für strengere Gesetze oder bewaffnet sich selbst. Seit dem Massaker in ihrer Schule in Parkland in Florida im Februar fordern die jungen Menschen dort striktere Schusswaffenkontrolle. In der Baptistenkirche in Sutherland Springs in Texas hingegen, wo ein Amokläufer im vergangenen November 26 Besucher eines Gottesdienstes erschoss, trägt selbst der Pastor eine Waffe.
Für ihn gehören Schusswaffen zum Alltag. Eine Pistole oder einen Revolver zu tragen sei "nicht ungewöhnlich", erläuterte Pfarrer Frank Pomeroy kürzlich im Rundfunksender WBUR. Er habe auch seiner Frau Sherri zu Weihnachten eine Schusswaffe geschenkt.
Das Massaker habe ihre Welt auf den Kopf gestellt, sagte Sherri Pomeroy dem Radiosender. Im nur mehrere Hunderte Einwohner zählenden Sutherland Springs in Texas lasse man häufig die Haustüre unverschlossen, wenn man mal kurz weggehe. Seit dem Massaker aber fühle sie sich sicherer, wenn sie eine Waffe trage. Das Ehepaar war an jenem Sonntag auf Reisen. Die gemeinsame 14 Jahre alte Tochter nicht. Sie gehört zu den Opfern des Massakers.
Viele Evangelikale besitzen Waffen
Frank Pomeroy war früher oft in Europa. Daher wisse er, dass es geradezu unmöglich sei, Europäern die amerikanische Haltung zu Schusswaffen zu vermitteln, sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Für ihn als Amerikaner sei es unvorstellbar, keine Waffe tragen zu dürfen.
Mache Schusswaffenbefürworter argumentieren damit, dass man den Täter ohne Feuerwaffen wohl nicht hätte stellen können. Ein Nachbar hörte nach Medienberichten die Schüsse in der Kirche in Sutherland Springs. Er schoss auf den Täter und verfolgte ihn. Er danke Gott, "dass mein Herr mich beschützt hat und mir die Fähigkeit gegeben hat zu tun, was getan werden musste", sagte Stephen Willeford später im Fernsehen.
Willefords Ansichten zu Schusswaffen zum Selbstschutz sind der evangelikalen Zeitschrift "Christianity Today" zufolge weit verbreitet unter weißen evangelikalen Christen. Laut dem "Pew Research Center" 2017 besitzen 41 Prozent der weißen Evangelikalen eine Schusswaffe, deutlich mehr als Mainstream-Protestanten (33 Prozent) und Katholiken (24 Prozent).
Kirchgänger David Colbath wurde beim Gottesdienst in Sutherland Springs von mehreren Kugeln getroffen. Wegen seiner Wunde am rechten Arm lerne der 56-Jährige inzwischen, mit links zu schießen, berichtete kürzlich die Lokalzeitung "San Antonio Express News". Er wolle nicht wieder in einer Situation sein, in der er so verwundbar sei und nichts tun könne "außer sitzen und warten bis man erschossen wird", sagte Colbath.
Es gehe ihm nicht um "philosophische" Debatten bei der Waffenfrage, sagte Colbath der Zeitung. In Texas kostet eine Jagdlizenz für Erwachsene 25 Dollar. Ein "Ausbildungskurs" für angehende Waidmänner und -frauen kann auch online genommen werden, heißt es auf der Webseite des Bundesstaates.
Laut Umfragen befürworten US-Amerikaner bestimmte Formen der Waffenkontrolle. Bei den Detailfragen ist die Politik jedoch so zerstritten, dass seit vielen Jahren sehr wenig geschieht. Nach Angaben des Forschungsbüros im Kongress befinden sich geschätzte 310 Millionen Gewehre, Revolver und Pistolen in Privathänden.
Mehrere protestantische Kirchen und römisch-katholische Bischöfe haben sich für verschärfte Waffengesetze ausgesprochen. Pomeroys "First Baptist"-Kirche gehört dem Südlichen Baptistenverband an, der größten protestantischen Kirche der USA. Die konservativen "Southern Baptists" äußern sich zu zahlreichen gesellschaftlichen Fragen, nicht aber zur Waffenkontrolle.
Der Täter vom Sutherland Springs nahm sich nach Angaben der Polizei auf der Flucht schließlich das Leben. Die Gemeinde hat inzwischen Pläne für ein neues Gotteshaus bekannt gemacht. Es solle ein Leuchtturm für das Evangelium sein, berichtete die Kirchenzeitung "Baptist Standard" Anfang April.