Die Überlegungen der nordrhein-westfälischen Landesregierung zu einem Kopftuchverbot für Mädchen haben ein geteiltes Echo hervorgerufen. Lehrerverbände und liberale Muslime begrüßten am Montag den Vorstoß von Integrationsminister Joachim Stamp (FDP). Dagegen zweifelten Juristen und Politiker die Rechtmäßigkeit eines Verbots an und forderten stattdessen mehr pädagogische Aufklärung.
Der Verfassungsrechtler Hans Michael Heinig mahnte Zurückhaltung bei staatlichen Eingriffen in die religiöse Kindererziehung an. "Solange das Kindeswohl nicht gefährdet ist, ist auch die familiäre Weitergabe religiöser Sonderbarkeiten freiheitsrechtlich geschützt", sagte der Göttinger Professor für Öffentliches Recht dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vielmehr sollten die Schulen durch Bildung und Elterngespräche ein Gegengewicht leisten.
Lehrerverbände begrüßen Überlegungen in Nordrhein-Westfalen
Auch der Osnabrücker Islamwissenschaftler Rauf Ceylan äußerte sich skeptisch zu einem Verbot. "Eigentlich wären Pädagogen gefragt, dieses Thema in den Schulen anzusprechen und Aufklärungsarbeit zu leisten", sagte er dem epd.
Am Wochenende war bekanntgeworden, dass der nordrhein-westfälische Integrationsminister Stamp ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren prüft. Kinder, die noch nicht religionsmündig seien, dürften nicht dazu gedrängt werden, ein Kopftuch zu tragen, erklärte er. Zuvor hatte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz angekündigt, ein Kopftuchverbot für Kinder in Grundschulen und Kindergärten zu erlassen.
Der frühere religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, forderte die Islamverbände zu einer Positionierung auf, inwiefern ein Kopftuch bei Minderjährigen überhaupt religiös begründet werde. Ein Verbot halte er allerdings nicht für sinnvoll, weil es um eine Frage der Religionsfreiheit gehe, sagte Beck. Auch der thüringische Bildungsminister Helmut Holter (Linke), Vorsitzender der Kultusministerkonferenz, forderte statt eines Verbots mehr Demokratiebildung in Schulen.
Zuspruch erhielt Stamp dagegen von Lehrern. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sagte der "Bild"-Zeitung (Montag), ein Kopftuchverbot könne Diskriminierung und Mobbing tendenziell den Boden entziehen. Auch die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, sagte der Zeitung, es dürfe keine Unterordnung eines Geschlechts geben. "Ein Kopftuch kann aber als Symbol dafür verstanden werden und hat deshalb im Unterricht nichts zu suchen."
Für ein Kopftuchverbot für Grundschülerinnen warb auch der Dortmunder Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak. "Mädchen zwischen sechs und zehn Jahren haben nicht die Macht, ihren Eltern zu widersprechen", sagte er dem epd. Die Entscheidung, ein Kopftuch zu tragen, solle jedes Mädchen aus eigener religiöser Überzeugung treffen.
Auch Migrantenverbände und liberale Muslime befürworten ein Verbot. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland erklärte, vor allem Kleinkinder müssten "vor dem religiösen Totalitarismus der Eltern geschützt werden". Verbandspräsident Ali Ertan Toprak betonte, nach dem Koran sei ein Kopftuch ohnehin erst in der Pubertät vorgeschrieben.
Die Rechtsanwältin Seyran Ates, Mitgründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, nannte ein Kopftuchverbot für Mädchen in der "Bild"-Zeitung "längst überfällig". Der Islam-Experte Ahmad Mansour sagte dem Blatt, ein Verbot könne Kindern ermöglichen, "ideologiefrei aufzuwachsen ohne Geschlechtertrennung und Sexualisierung". Dagegen hatte der Islamrat die Debatte bereits am Wochenende als "populistisch, symbolgeladen und inhaltsleer" kritisiert.