Käßmann für verbale Abrüstung

Käßmann für verbale Abrüstung
Die evangelische Theologin Margot Käßmann sieht den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch zunehmende verbale Aggressivität belastet. "Wenn ich eine brüllend pöbelnde Menge sehe, habe ich das Gefühl: Die sind desintegriert. Mit denen möchte ich nicht alleine bleiben", sagte Käßmann dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel" (Sonntag).

Vor allem der Ton der Auseinandersetzung habe sich verschärft. "Der Ton ist wirklich ein Kulturverlust. Wenn mich einer anschreibt: 'Du verfickte Kirchenziege', glaubt der, dass ich die E-Mail zu Ende lese?" Sie sei dankbar, in Deutschland zu leben, weil es noch ein wirklich freies Land sei, so die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Interview.

Im Moment hätten viele aber Angst, "sich zu explizit zu äußern, weil sie sofort verbal wüst attackiert, niedergemacht, mit Spott, Häme und Boshaftigkeit überschüttet werden auf einem verbal ekelhaften Niveau", sagte Käßmann weiter. "Da finde ich müssten wir zuallererst ansetzen: Lasst uns mal im Ton abrüsten."
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Dabei appellierte Käßmann an die Politiker und deren Vorbildfunktion. "Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika so was von sich gibt, dann sagt Max Mustermann, das mache ich auch." Sie glaube schon, "dass es eine Verantwortung der Vorbilder gibt". Auch die AfD habe dazu "beigetragen, wenn Menschen angebrüllt, angepöbelt werden wie bei Pegida. Und dann rufen: Ey, ich bin stolz auf Deutschland! Auf diese Typen bin ich überhaupt nicht stolz, mit denen möchte ich nicht hier leben, ich finde, die sind desintegriert", so die evangelische Theologin weiter. 

Mit Blick auf das Zusammenleben der Religionen widersprach Käßmann Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und seinem Satz, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. "Der Islam wird praktiziert in Deutschland. Und Deutschland wird nicht mehr so sein, dass es keinen Islam gibt. Da können sich die Leute auf den Kopf stellen. Wie kann man die Menschen und ihren Glauben so auseinanderdividieren", fragte die 59-Jährige. "Im Moment habe ich den Eindruck, dass sich viele Muslime, die in dritter, vierter Generation hier leben, wirklich ausgegrenzt fühlen, und das halte ich für ein ernstes Problem", sagte Käßmann, die Ende Juni mit 60 Jahren als EKD-Reformationsbotschafterin verabschiedet wird und in den Ruhestand geht.