"Man stelle sich nur einmal kurz vor, diesen Vorwurf etwa gegen das Agieren der Kirchen im Staatssozialismus zu erheben, um zu bemerken, wie abstrus er im Kern eigentlich ist", schreibt Gysi. Doch auch in Deutschland müssten die Kirchen Stellung beziehen. "Wir leben in einem ungerechten Land, in dem sich die soziale Spaltung weiter vertieft. Dazu kann eine Kirche nicht schweigen, wenn sie sich selbst ernst nimmt."
Wer Gerechtigkeit will, darf nach Ansicht Gysis die Auseinandersetzung mit den Mächtigen nicht scheuen. "Sehr viele Menschen in den Kirchen leben und vermitteln Moral- und Wertvorstellungen wie die Achtung der Menschenwürde, Solidarität, Barmherzigkeit durch ihr tägliches Tun und machen dies im besten Sinne zum Gemeingut", unterstrich Gysi. Sie dürften erwarten, dass ihr Engagement Widerhall und Unterstützung auch in den Predigten erfährt. Papst Franziskus etwa halte den Mächtigen immer wieder den Spiegel vor. "Das soll nicht angemessen sein? Es ist dringend erforderlich", resümiert Gysi.
Zuletzt hatten Weihnachtspredigten eine Debatte darüber ausgelöst, wie politisch Predigten sein sollten. Geistliche, Politiker und Publizisten beteiligten sich an der Diskussion. Der 70-jährige Gysi ist konfessionslos und nach eigenem Bekunden nicht gläubig.