Kirche macht Schule

Schülerin an einer evangelischen Schule
Foto: Getty Images/iStockphoto/serdjophoto
Um an einer evangelischen Schule aufgenommen zu werden, muss man nicht selbst evangelisch getauft oder überhaupt Christ sein – man muss aber bereit sein, am verpflichtenden Religionsunterricht teilzunehmen.
Kirche macht Schule
Rund 1.100 Schulen in evangelischer Trägerschaft gibt es deutschlandweit – von der Grundschule über das Gymnasium bis zu den beruflichen Schulen. Sie sind ein Ausdruck evangelischer Bildungsverantwortung. Und während es "die" evangelische Schule nicht gibt, dient jedoch allen Schulen das Evangelium als Grundlage des Lebens und des Glaubens.

Bildung und Reformation gehören zusammen – das haben schon Martin Luther und Philipp Melanchthon in ihren Predigten und Reden immer wieder betont. Bildung und Glaube sind Gaben Gottes und religiöse Bildung muss Bestandteil allgemeiner Bildung sein, so die Haltung der Reformatoren. Dass es in Deutschland "Schulen in freier Trägerschaft" unter Aufsicht der Schulbehörde geben darf, garantiert Artikel 7, Absatz 4 des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet."

Die Tatsache, dass die Errichtung freier Schulen zu den Grund- und Menschenrechten in Deutschland gehört, hängt mit den Erfahrungen im Nationalsozialismus zusammen: eine erneute Gleichschaltung der Bildung soll durch die Durchbrechung des staatlichen Schulmonopols vermieden werden. "Schulen in freier Trägerschaft" sind in Deutschland aber eher eine Randerscheinung: Laut einer OECD-Studie besuchten 2006 nur sechs Prozent der deutschen Schüler eine solche Bildungseinrichtung – der europäische Durchschnitt lag bei 14 Prozent.

Die Finanzierung evangelischer Schulen ist kompliziert und variiert ebenfalls stark von Träger zu Träger. Grob gibt es drei Säulen, aus denen sich die Einkünfte evangelischer Schulen zusammensetzen. Die erste Säule bildet die staatliche Finanzhilfe für öffentliche Schulen in evangelischer Trägerschaft, die ungefähr zwischen 60 und 70 Prozent der Kosten deckt. Die zweite Säule bilden die Eigenmittel, zu denen auch das Schulgeld zählt, das evangelische Schulen als Privatschulen erheben dürfen. Dabei seien 160 Euro der Höchstsatz, oft werde jedoch deutlich weniger verlangt. Damit folgt man dem im Grundgesetz festgehaltenen Sonderungsverbot, dass es verbietet, bestimmte Schüler aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Höhe des Schulgelds vom Schulbesuch auszuschließen. "Evangelische Schulen sollen Schulen für alle sein, sie sind aber gleichzeitig auch in der Not, die finanziellen Lücken zu schließen. Das ist ein Balanceakt, dem sie sich täglich stellen müssen", erklärt Annerose Fromke, Geschäftsführerin der Schulstiftung der EKD. In vielen Fällen gäbe es eine soziale Staffelung des Schulgelds und aufgrund des christlichen Anspruchs würde immer nach Wegen gesucht, die finanzielle Härte abzupuffern. Die dritte Säule besteht aus kirchlichen Schulmitteln, auf die aber nicht alle Schulen Anspruch haben.

Wunsch nach einer Erneuerung des säkularisierten Bildungswesens

Um an einer evangelischen Schule aufgenommen zu werden, muss man nicht selbst evangelisch getauft oder überhaupt Christ sein – man muss aber bereit sein, am verpflichtenden Religionsunterricht teilzunehmen. In seiner Orientierungshilfe "Kirche und Bildung" hat der Rat der EKD 2009 ausgeführt, dass evangelische Profile "nur evangelisch heißen können, wenn sie zugleich die Offenheit für andere einschließen. Nach evangelischem Verständnis können sie nur evangelisch sein, solange sie ökumenisch sind und die eigene Kirche oder konfessionelle Ausrichtung nicht absolut setzen". Außerdem wird weiter in der Orientierungshilfe angemerkt: "Immer mehr Zustimmung gewinnt darüber hinaus die Überzeugung, dass ein evangelisches Selbstverständnis auch ein nachbarschaftliches und dialogisches Verhältnis zu anderen Religionen und Weltanschauungen einschließt […]." Dieser Grundsatz führt dazu, dass auch Kinder anderer Konfession oder Religion sowie Konfessionslose zusammen an einer evangelischen Schule lernen können. Gerade in Ostdeutschland gibt es Schulen, wo der Prozentsatz an evangelischen Schülern im Durchschnitt nur bei 30 Prozent liegt.

"Die" evangelische Schule gibt es aufgrund protestantischer Tradition nicht – stattdessen gibt es eine sehr große Bandbreite an unterschiedlichen Profilen und Standortbestimmungen: zum Beispiel reformpädagogisch, evangelikal oder auch diakonisch. Das hängt unter anderem auch mit den unterschiedlichen Trägern zusammen: Manche Schulen wurden auf die Initiative von Eltern und Lehrern hin gegründet, andere auf die von Kirchengemeinden oder gar von der Landeskirche hin und wieder andere von diakonischen Werken. Die überwiegende Mehrheit der Träger (Vereine) betreibt nur eine oder zwei Schulen, nur ein Bruchteilt der Träger unterhält zehn oder sogar noch mehr Schulen. "Es gibt kein einheitliches bildungstheoretisches oder bildungspolitisches Konzept, das hinter dieser Vielfalt an Schularten, Organisationsformen und Trägern steht", schlussfolgert der Theologe und Religionspädagoge Martin Schreiner in der Jubiläumsschrift der Schulstiftung der EKD. Es gebe jedoch den Wunsch nach einer Erneuerung des bestehenden, säkularisierten Bildungswesens, der ein verbindendes Grundanliegen evangelischer Schulen sei.

Evangelische Schulen Orte der ersten Kontaktaufnahme mit christlicher Religion

Besonders in Ostdeutschland gab es nach der Wiedervereinigung das Bedürfnis, einen Kontrapunkt zum staatlichen Schulmonopol zu setzen und eine andere Pädagogik zu verfolgen. 1994 gründete die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine Schulstiftung, die die Gründung evangelischer Schulen in den neuen Bundesländern begleitet und gefördert hat. Mittlerweile hat sich der Aufgabenbereich jedoch etwas verändert: Man unterstütze nicht mehr nur noch Schulneugründungen, sondern auch deutschlandweit Schulentwicklungsprozesse, Qualifizierungsmaßnahmen und Projekte. Vor allem wird auch die Gründung von evangelischen Real- und Oberschulen begrüßt – denn bisher machen Grundschulen und Gymnasien den Großteil der evangelischen, allgemeinen Schulen aus.

Die Situation für die evangelische Kirche in den neuen Bundesländern beschäftigt die EKD-Schulstiftung aber immer noch. Denn gerade im durch Konfessionslosigkeit geprägten Ostdeutschland seien evangelische Schulen auch heute Orte der ersten Kontaktaufnahme mit christlicher Religion. "Ein Missionsauftrag ist damit nicht verbunden", so Annerose Fromke von der Schulstiftung der EKD. "Es geht darum, dass vor Ort das Bewusstsein wachgehalten wird, dass Kirche ein gesellschaftlicher Verantwortungsträger ist und Lebensorientierung bietet." Man wolle sichtbar sein und einen Erfahrungshorizont mit Kirche für Menschen eröffnen. "Insbesondere Superintendenten aus dem ländlichen Raum in Ostdeutschland signalisieren, dass ihnen die Gemeinden wegbrechen. Sie suchen nach Wegen, Kirche nachhaltig zu positionieren, da spielen evangelische Schulen als mögliches Erfahrungs- und Begegnungsfeld definitiv eine spannende Rolle", sagt Fromke.

Genauso wie staatliche Schulen vermitteln auch evangelische Schulen individuelle, gemeinschaftliche und gesellschaftliche Bildung. "Im kirchlichen Sprachgebrauch bezeichnen wir diese drei Dimensionen der Bildung, in denen ein Individuum aufwächst, als Bildung im Bezug zur Freiheit, zur Verantwortung und zur Gerechtigkeit", erklärt Fromke. Die große Stärke evangelischer Schulen liegt Fromkes Ansicht nach darin, alle drei Bildungssäulen auszubalancieren und ihnen gerecht zu werden. Während zum Beispiel die Jenaplan-Pädagogik den Fokus stark auf die Gemeinschaft lege, stehe in der Montessori-Pädagogik das Individuum stärker im Zentrum – in den Konzepten der meisten evangelischen Schulen wird das vernünftige Maß gesucht.

Weitere Argumente für eine evangelische Schule sieht Fromke in der überschaubaren Größe, der Bereitschaft, sich zu entwickeln, der Transparenz gegenüber Eltern, die sich einbringen können, und dem engagiertem Kollegium. Die Lehrer identifizieren sich stark mit der Schule und sind teilweise sogar dafür bereit, auf eine Verbeamtung zu verzichten oder insbesondere bei kleinen Trägerschaften weniger Gehalt zu beziehen. "Außerdem haben Evangelische Schulen einen sehr großen Gestaltungsfreiraum im Schulalltag, sie können zum Beispiel ein eigenes Curriculum entwickeln", so Fromke. Der wichtigste Bezug des evangelischen Schulwesens ist die Gottesebenbildlichkeit und die daraus abgeleitete Pflicht, jeden einzelnen Schüler in seinen Potentialen so allumfassend wie möglich zu fördern und auszubilden. "Dabei ist das Evangelium ein klarer Orientierungspunkt der Ausgestaltung und Entscheidungsfindung, das überzeugt und macht uns in unserer Ausrichtung transparent", so Annerose Fromke von der Schulstiftung der EKD.

Die Vielfalt der evangelischen Schullandschaft zeigt evangelisch.de ab dem 3. April mit der Schulserie. Und hier gibt es vorab einen Blick auf die Schulen, die wir besucht haben.