Es sei "natürlich", dass die polnische Bevölkerung sich vor dem Hintergrund ihrer individuellen Geschichte schwerer damit tue, Kompetenzen abzugeben, als beispielsweise Franzosen, erklärte Kermani, der über seine Reise von seiner Heimatstadt Köln über Osteuropa bis in den Iran sprach.
"Die Skepsis, die Vorbehalte, die Vorsicht, die mangelnde Euphorie, die es auch in vielen Ländern Europas gibt, speziell im Osten, die ist mir auch sehr erfahrbar geworden", sagte der Publizist. Er betonte den widersprüchlichen Charakter von Unterschieden zwischen Kulturen. Einerseits bestehe Kultur daraus, das Eigene - wie beispielsweise die Sprache - angesichts der vorhandenen Vielfalt zu pflegen und sich darüber von anderen zu unterscheiden. Andererseits brächten diese Unterschiede auch Konflikte und Kriege hervor.
Kermani warnte davor, sich der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen zu verweigern: "Kulturen, die sich verschließen, sterben ab", sagte der Orientalist. Er äußerte zugleich die Hoffnung, dass das "Projekt Europa" Bestand haben werde.
Für seinen Ende Januar erschienenen Reportage-Band "Entlang den Gräben. Eine Reise durch das östliche Europa bis nach Isfahan" reiste Kermani in vier Etappen von Köln über das Baltikum und den Kaukasus bis in den Iran, die Heimat seiner Eltern. Kermani wurde 1967 in Siegen geboren und studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaft. Für seine Essays, Romane und Reportagen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderen den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.