"Die 40- bis 50-Jährigen sind eine kleine, aber die am stärksten wachsende Gruppe unter den Theologiestudenten", sagt der Personaldezernent der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Jens Böhm. Das spürt die Universität Marburg, die den ersten berufsbegleitenden Masterstudiengang Evangelische Theologie in Deutschland 2007 gestartet hat.
Die Zahl der Bewerber ist inzwischen auf mehr als das Doppelte der Studienplätze gestiegen. Gab es für den Marburger Master mit dreijährigem Turnus 2012 noch 53 Bewerbungen, waren es 2015 schon 70 Bewerbungen, wie die Studiendekanatsreferentin Daniela Linke berichtet - obwohl das Studium rund 10.000 Euro kostet. Zugelassen zum Beginn der jüngsten Klasse 2016 wurden 30 Studierende im mittleren Alter. Rund die Hälfte der Absolventen habe bisher die Ausbildung zur Pfarrerin oder zum Pfarrer begonnen.
Studiengang "keine Theologie light"
"Rückblickend, mit jetzt 50 Jahren, kann ich sagen, dass ich den Schritt ins Studium, Vikariat und in den Pfarrberuf keinen Tag bedauert habe. Ich kenne keinen anderen Beruf, bei dem man so nah am Leben und so intensiv im Dialog über dieses Leben und das Sterben ist", berichtet Michael Heinrich, der als Diplom-Verwaltungswirt in der ersten Master-Klasse studierte und 2012 Pfarrer in Kassel wurde.
Auf das wachsende Interesse reagieren die Universitäten Mainz und Frankfurt. Sie planen die Einführung eines weiteren berufsbegleitenden Theologiestudiums. Die Hochschulen wollten das Marburger Modell und die kommenden Rahmenrichtlinien des evangelisch-theologischen Fakultätentags und der Kirchenkonferenz aufnehmen, sagt der Mainzer Theologe Ruben Zimmermann. Der Studiengang werde die Berufserfahrung würdigen, sei aber "keine Theologie light". Auf das Latinum als Voraussetzung werde verzichtet, aber Griechisch und Hebräisch müsse bezogen auf die biblischen Urtexte gelernt werden.
Die Vorbereitungen stünden noch am Anfang, ergänzt die Frankfurter Theologin Melanie Köhlmoos. Menschen im mittleren Lebensabschnitt bildeten ein interessantes Studierendenpotenzial zwischen den Schulabgängern und Senioren. Sie brächten eigene Kompetenzen und Perspektiven ein. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ist als Geburtshelferin an der Entwicklung beteiligt. Für die Konzeption des Studiengangs werde sie ab 2018 eine Stelle finanzieren, sagt der Referent für Personalförderung und Hochschulwesen der EKHN, Holger Ludwig. Wenn möglich, solle der neue Studiengang abwechselnd mit Marburg starten, also etwa im Oktober 2020.
Die Kirche habe gute Erfahrungen mit den in Marburg ausgebildeten, spätberufenen Theologen gemacht, berichtet Ludwig. Vier von ihnen seien bereits im Pfarrdienst, sechs im Vikariat und neun Studierende hätten sich als Interessenten registrieren lassen.
Bei den Prüfungen zum Abschluss des Vikariats habe sich kein Unterschied zwischen den jüngeren Absolventen des Vollzeitstudiums und den älteren des berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiums gezeigt. Die Masterabsolventen fielen durch eine hohe innere Motivation und starkes Engagement auf.
"Die Aufnahme von Spätberufenen tut der Ausbildung gut", pflichtet der Professor des Theologischen Seminars der EKHN in Herborn, Stefan Claaß, bei. "Die Altersmischung hat eine produktive Unruhe ins System gebracht." Die Berufserfahrenen zeichneten sich durch eine klare Entscheidung, einen disziplinierten Arbeitsstil und Durchhaltewillen aus. Von den 150 Vikaren der vergangenen fünf Jahre seien rund zehn Prozent Spätberufene gewesen. Vor 20 Jahren dagegen hätten diese in Deutschland noch kaum eine Rolle gespielt. Die ersten Erfahrungen zeigten, dass sie im Pfarrdienst richtig gut seien: "Die Spätberufenen wissen, was sie wollen."
Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßt die Einführung von Weiterbildungsstudiengängen in Theologie. Eine neue Personengruppe könne dadurch per Quereinstieg für das Pfarramt gewonnen werden, sagt die Hochschul- und Ausbildungsreferentin der EKD, Christiane de Vos. Gegenwärtig gebe es nur in Marburg und seit 2013 auch in Heidelberg einen Masterstudiengang, in Heidelberg ist er allerdings als Präsenzstudium integriert in den normalen Studiengang. Die Absolventen bereicherten das kirchliche Leben. Den erwarteten Nachwuchsmangel an Pfarrerinnen und Pfarrern werde der Master aber nicht beheben. Dafür reichten die Zahlen der Absolventen nicht aus.