Der Vorstoß des Papstes beweise, dass er "nicht unbedingt theologisch sattelfest" sei, schreibt Körtner in einem Gastkommentar für die österreichische Zeitung "Die Presse" (Donnerstag). Der Papst hatte angeregt, im Vaterunser den Passus "Und führe uns nicht in Versuchung" abzuändern, weil Satan, nicht aber Gott in Versuchung führe.
"Diese Sichtweise passt zu einem modernen Mainstream-Christentum, das den biblischen Gott von allen verstörenden, widersprüchlichen und abgründigen Zügen reinigen will", schreibt Körtner in seinem Kommentar. "Das Gottesbild wird nach den Maßstäben heutiger Moral passend gemacht und die Theodizeefrage - die Frage also nach Gottes Güte und Gerechtigkeit angesichts des Bösen und des Leidens - durch fromme Floskeln überdeckt."
Theologisch macht es nach Ansicht Körtners kaum einen Unterschied, ob es "Und führe uns nicht in Versuchung" heißt oder "Und lass uns nicht in Versuchung geraten", wie Papst Franziskus befürwortet hatte. Der griechische Text des Vaterunsers wolle "keine Antwort auf die weltanschauliche Frage nach dem Ursprung des Bösen geben, sondern er legt alles Gewicht auf den zweiten Teil der Bitte, Gott möge uns von dem Bösen erlösen", erklärt Körtner.
Auch vor dem Hintergrund, dass sich Protestanten und Katholiken in den 1970er Jahren auf die gängige Fassung des Vaterunsers geeinigt hätten, empfiehlt Körtner, daran festzuhalten. "Schon um der Ökumene willen, die doch auch Franziskus am Herzen liegt, sollten wir uns an Luthers Mahnung halten: 'Das Wort sie sollen lassen stahn!'" Ulrich Körtner ist Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.