Herr Wörner, was bedeutet Ihnen Weihnachten, die Geburt von Jesus Christus?
Tobi Wörner: Weihnachten heißt: Gott fängt klein an, damit wir etwas mit ihm anfangen können. Das sollte meiner Meinung nach die Botschaft unserer Weihnachtsgottesdienste sein. Das zu vermitteln an Heiligabend, wo so viele Menschen das einzige Mal im Jahr zum Gottesdienst gehen, halte ich für eine Riesenchance. Leider machen unsere Predigten nicht immer deutlich, wie nahe uns Gott durch Weihnachten kommt.
Was gefällt Ihnen an den Predigten nicht?
Wörner: Ich höre sehr viele Allgemeinplätze, Richtigkeiten und Wahrheiten. Die Predigten bleiben über den Menschen, aber erreichen ihr Herz nicht. Wir brauchen ganz konkrete Beispiele und Geschichten, denn daraus besteht unser Leben. Die Zuhörer wollen in unserer Predigt vorkommen, sie suchen eine Projektionsfläche. Jeder Prediger sollte also konkrete Beispiele aus seinem Leben, seinem Umfeld bringen, mit denen die Hörer etwas anfangen können.
Warum ist das so wichtig?
Wörner: Das Evangelium, diese gute Botschaft, muss ja konkret werden. Das funktioniert nicht über allgemeine Aussagen, sondern nur über Beispiele. Ich habe mir die Regel gesetzt: Keine sieben Minuten ohne Beispiel. Wenn ich in diesem Zeitraum nichts Konkretes, Greifbares erzählt habe, hänge ich die Zuhörer ab. Zwanzig Minuten können ganz schön lang werden, ich erinnere mich an manche extrem langweilige Predigt, die über meinen Kopf hinwegging. Ich wusste am Ende nicht, was das Ganze mit mir zu tun hat.
Werden unsere Prediger hier mangelhaft ausgebildet?
Wörner: Vermutlich ist nicht die Ausbildung das Problem, sondern die Überforderung von Pfarrern mit anderen Aufgaben. Die haben so viel zu tun - Religionsunterricht, oft die Leitung des Kirchengemeinderats, Personalchef im kirchlichen Kindergarten -, die haben in ihrem Zeitbudget kaum mehr die Möglichkeit, ausgiebig der Frage nachzugehen: Was möchte ich am Sonntag eigentlich sagen, und wie kann ich das gut rüberbringen?
Wie bringt man es denn gut rüber?
Wörner: Zum Beispiel dadurch, dass es mehr zu sehen gibt. Wir sind heute stark visuell geprägt, überall erleben wir Bilder - aber die traditionelle Predigt bietet meistens nicht mehr als einen redenden Menschen im Talar. Hier können Präsentationen auf der Leinwand oder reale Gegenstände helfen. Als ich mal über den biblischen "Sündenbock" predigte, habe ich einen lebendigen Schafbock in die Kirche geholt. Der gute Erzähler macht aus dem Ohr ein Auge, doch oft möchte das Auge auch selbst beteiligt sein.
Nutzen die Kirchen den starken Zulauf an Weihnachten zu wenig?
Wörner: Wir sollten zumindest alles daran setzen, uns mit der christlichen Botschaft diesen Gästen verständlich zu machen. Da muss es knallen, da muss klarwerden, was dieser Jesus mit mir zu tun hat. Als Problem sehe ich, dass wir in unseren Predigten oft hohe Ansprüche an die Hörer formulieren - ethische Forderungen, was man etwa für den Weltfrieden und die Umwelt alles zu tun oder zu lassen hat. Wenn das die Hauptbotschaft ist, geht das komplett am Evangelium vorbei. Wir müssen zuerst hören, wer wir vor Gott sind und wer in Jesus genau zu uns kam. Erst daraus folgt, was wir für die Mitmenschen oder den Weltfrieden tun können.
Also erst der Zuspruch, dann der Anspruch?
Wörner: Ja. In unserer Leistungsgesellschaft geht es ums Arbeiten, Geldverdienen, Hausbauen, Selbstoptimieren. Die Weihnachtsbotschaft setzt den Gegenakzent: Jesus ist schon da, er ist schon angekommen, er macht uns zu Gottes Kindern. Wir brauchen nichts mitzubringen, er bringt alles mit. Wir sollten also heute neu betonen, was alles schon passiert und uns geschenkt ist.