Das Amtsgericht Gießen hat eine Ärztin wegen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Die Allgemeinmedizinerin habe im Internet über Abtreibungsmöglichkeiten informiert und damit gegen Paragraf 219a des Strafgesetzbuches verstoßen, sagte die Richterin am Freitag in ihrer Urteilsbegründung. Das Urteil folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Gießener Ärztin Kristina Hänel muss eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150 Euro zahlen und die Kosten des Verfahrens tragen (AZ: 500DS 501JS 15031/15).
Eine Revision beim Landgericht sei möglich, erklärte die Richterin. Hänels Verteidigerin kündigte an, "sicher" in Revision gehen zu wollen. Sie sieht in dem Urteil "katastrophale Rechtsfehler". Hänel hatte bereits vorher in Interviews angekündigt, durch alle Instanzen gehen zu wollen.
Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs verbietet Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Der Gesetzgeber habe sich dort "klar und unmissverständlich ausgedrückt", sagte die Richterin. Er wolle nicht, dass öffentlich über einen Schwangerschaftsabbruch diskutiert wird, als sei es eine normale Leistung von Ärzten. Es sei der gesetzgeberische Wille, dass Informationen bei den Beratungsstellen liegen, die Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch aufsuchen müssen.
Kommerzialisierung des Schwangerschaftsabbruchs verhindern
Nach dem Wortlaut des Paragrafen hatten Hänel bis zu zwei Jahren Haft gedroht. Laut Anklage hatte sie im April 2105 auf der Internetseite ihrer Praxis einen Link "Schwangerschaftsabbruch" veröffentlicht und eine Datei zum Download angeboten. Dort seien detaillierte Informationen zum Schwangerschaftsabbruch gegeben worden, etwa über den chirurgischen Verlauf und mögliche Komplikationen. Auch sei geraten worden, eine Begleitperson zu dem Eingriff mitzunehmen, erläuterte die Richterin.
Der Staatsanwalt sagte, die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs sei seit jeher umstritten, der Schutz ungeborenen Lebens stehe der Selbstbestimmung und Freiheit der Frau gegenüber. Paragraf 219a solle eine Kommerzialisierung des Abbruchs verhindern. Die Norm verfolge daher "einen legitimen Zweck".
Die Verteidigerin Hänels, die auf Freispruch plädierte, sieht in dem Paragrafen "ein vergessenes Nazi-Gesetz". Der Paragraf stammt in seiner alten Form aus dem Jahr 1933. Er ignoriere wesentliche Rechte wie das Informationsrecht des Patienten. Die Veröffentlichung auf der Homepage sei keine Aufforderung im Sinne von "Kommen Sie zu mir". Hänel habe lediglich über Rahmenbedingungen informiert.
"Mein Kopf gehört mir - Entscheidungen brauchen Informationen"
Zahlreiche Unterstützer der Ärztin demonstrierten vor und während der Verhandlung vor dem Amtsgericht. Einige trugen T-Shirts mit der Aufschrift "My Body, my choice" oder Plakate wie "Mein Kopf gehört mir - Entscheidungen brauchen Informationen".
Die stellvertretende Linken-Fraktionsvorsitzende Cornelia Möhring, die zum Prozess nach Gießen gereist war, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), ihre Fraktion habe einen Gesetzentwurf zur Streichung des Paragrafen 219a vorgelegt. Keine Frau mache leichtfertig einen Schwangerschaftsabbruch. Aber eine "Frau in Not" dürfe sich noch nicht einmal informieren. Das sei eine "absurde Situation".
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl kritisierte in Berlin, das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche schaffe in der ärztlichen Praxis große Unsicherheit. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ulle Schauws erklärte, eine Streichung oder zumindest Änderung des Paragrafen sei überfällig. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae sagte, Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs sei in seiner jetzigen Form für die Freien Demokraten "nicht mehr zeitgemäß und sollte geändert werden".
Kristina Hänel hat auf der Onlineplattform "change.org" eine Petition an den Bundestag gerichtet und fordert ein "Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch". Mittlerweile haben fast 120.000 Menschen die Petition unterschrieben. Etwa 100 Ärzte unterschrieben zudem eine Solidaritätserklärung für Hänel.
Die Organisation pro familia erklärte, der Paragraf 219a werde zunehmend von Abtreibungsgegnern dazu benutzt, um Ärzte anzuzeigen oder einzuschüchtern. In der Folge nähmen viele Ärzte und Praxen aus Angst vor Strafverfolgung sachliche Informationen von ihren Webseiten herunter.