Die alte Frau Krüger von gegenüber ist gestorben. Seit über 17 Jahren haben wir mit ihr in dem Berliner Altbau Tür an Tür gewohnt. Sie war alt, ein wenig schrullig aber alle im Haus haben hat sie gemocht irgendwie. Keiner der Nachbarn weiß, wo sie nun bestattet wird. Hatte Sie denn überhaupt noch jemand? Kinder hatte sie wohl keine. Nichten, Neffen? Gern würden wir mit den Nachbarn zur Beisetzung gehen. Ein letztes Geleit für Frau Krüger. Gläubig war sie, das hat sie mir mal erhält, aber in unserer Gemeinde habe ich sie nie gesehen. Vielleicht findet sie ja ihre letzte Ruhe auf einem der Friedhöfe in unserer Nachbarschaft.
Keiner wird Frau Krügers Grab je besuchen. Denn dass Frau Krüger in Wohnortnähe beigesetzt wird, ist recht unwahrscheinlich, trotz der 200 Friedhöfe in Berlin. Wenn Frau Krüger keine nahen Verwandten hat, die sich um die Beisetzung kümmern, kümmert sich von Rechts wegen das Bezirksamt um die Beisetzung von Frau Krüger. Das nennt sich dann eine "ordnungsbehördliche Bestattung" und kommt immer dann zur Anwendung, wenn keine sogenannten Bestattungspflichtigen ermittelt werden können. Vor einigen Jahren erzählte der britische Film "Mr. May" eindrucksvoll eine solche Geschichte. Wer zu den Bestattungspflichtigen gehört, regeln die Bundesländer, zumeist sind es Kinder, Eltern, Nichten und Neffen der Verstorbenen. In Berlin sind die Gesundheitsämter für die Ordnungsbehördlichen Bestattungen verantwortlich. Sie beauftragen ein Bestattungsinstitut, das die Beisetzung durchführt. Wenn Frau Krüger nicht ausdrücklich verfügt hat, dass sie eine Erdbestattung möchte, wird ihr Leichnam kremiert und es findet eine Urnenbeisetzung statt. Warum aber findet diese Urnenbeisetzung nicht auf einem Friedhof in der Nähe des letzten Wohnortes statt? Zumindest in ihrem Bezirk, wenn das Bezirksamt schon ihre Beisetzung bezahlt? Das Bezirksamt ist angehalten, für die ordnungsbehördlichen Bestattungen das kostengünstigste Angebot an zunehmen.
Wenn sich nämlich nach der Beisetzung doch noch Angehörige von Frau Krüger melden, würde das Bezirksamt die Bestattungskosten von ihnen zurückverlangen. Wenn nun aber nicht das kostengünstigste Angebot genommen wurde, könnten die Angehörigen dagegen Einspruch einlegen. Verpflichtet wären sie nur für die Erstattung der Kosten für das günstigste Angebot. Deswegen wird das - nennen wir es ruhig so - billigste Bestattungsunternehmen beauftragt, Frau Krüger unter die Erde zu bringen. Aber auch die Friedhöfe haben unterschiedliche Gebühren. Friedhofsträger sind die Kommunen sowie die Evangelische und die Katholische Kirche. Die letzte Ruhe wird Frau Krüger auf dem Friedhof finden, auf dem die einfachste Bestattungsform, in der Regel ein Urnenreihengrab, am billigsten ist. Dass dieser Friedhof in der Nähe ihrer letzten Wohnung liegt, ist höchst unwahrscheinlich. Frau Krüger wird irgendwo in den Weiten der Hauptstadt ihre letzte Ruhe finden. Nachbarn werden niemals dort vorbei kommen und sonst hatte sie doch keinen mehr. Frau Krüger wird schnell vergessen sein und den kleinen Engel wird ihr auch keiner aufs Grab legen.
Eine Beisetzung aus dem Leichenwagen heraus soll es nicht geben
Eines ist vollkommen ausgeschlossen: Dass Frau Krüger ihre letzte Ruhe auf einem evangelischen Kirchhof in Berlin findet, obwohl die evangelische Kirche dort 112 Kirchhöfe betreibt. Das hat einen einfachen Grund: Die evangelische Kirche Berlin Brandenburg schlesische Oberlausitz (EKBO) schreibt für ihre Kirchhöfe vor, dass vor der Beisetzung die Urne oder der Sarg für 20 Minuten in der Kapelle stehen muss. Es ist egal, ob es eine Trauerfeuer gibt oder nicht, egal ob jemand kommt oder nicht, egal ob der Verstorbene christlichen, muslimischen oder jüdischen Glaubens war, die Kapellennutzung ist obligatorisch. Diese Regel ist eigentlich sehr schön, denn es soll vor der Beisetzung zumindest die Möglichkeit der Besinnung und der inneren Einkehr geschaffen werden. Eine Beisetzung aus dem Leichenwagen heraus soll es nicht geben, und das ist gut so.
Das Problem: Für die obligatorische Nutzung der Kapelle müssen die evangelischen Kirchhöfe eine Gebühr von etwa 50 Euro erheben. Damit sind Beisetzungen auf Evangelischen Kirchhöfe nicht mehr am kostengünstigsten, können ordnungsbehördliche Bestattungen dort eigentlich nicht durchgeführt werden. Es gibt evangelische Gemeinden, die darum kämpfen müssen, dass verstorbene Gemeindeglieder, die ordnungsbehördlich bestattet werden, ihre letzte Ruhe auf dem gemeindeeigenen Kirchhof finden. Eine absurde Situation.
Menschen haben ein Recht auf ein würdiges Gedenken
Gerade für Menschen, die ordnungsbehördlich bestattet werden, wäre ein Friedhof in der Nähe ihrer letzten Wohnung wichtig. Sie haben keine Angehörigen, die Menschen in ihrem Wohnumfeld waren oftmals die einzigen sozialen Kontakte. Oft haben diese Menschen Jahrzehnte lang in ihrem Kiez gewohnt, man kannte sie in der Nachbarschaft, traf sie in den kleinen Geschäften. Auch Menschen die keine nahen Verwandten mehr haben, haben ein Recht auf ein würdiges Gedenken. Friedhöfe sind Orte für diese Erinnerung. Dieses Erinnern funktioniert aber nur, wenn Menschen, die die Verstorbenen gekannt haben, diese Orte besuchen können. Das funktioniert nicht, wenn die Verstorbenen irgendwo begraben werden, wo es gerade am kostengünstigsten ist. So entstehen auf ein paar wenigen Friedhöfen mit günstigen Gebühren riesige Gräberfelder für ordnungsbehördliche Beisetzungen. Es ist unwürdig, wenn Verstorbene, die keine Angehörigen mehr haben, nicht zumindest in dem Bezirk beigesetzt werden können, in dem sie gelebt haben. Und das wegen ein paar Euro mehr oder weniger.
Es sind keine Einzelfälle, die Zahl der ordnungsbehördlichen Bestattungen werden bundesweit auf 23.000 pro Jahr geschätzt, Tendenz steigend. Ursache hierfür sind die Auflösungserscheinungen intakter Familienverbände und die Anonymisierung in den Großstädten. Es wäre dringend geboten, dass sich die kommunalen und kirchlichen Träger der Berliner Friedhöfe auf eine einheitliche Gebühr für ordnungbehödliche Bestattungen verständigen. Dann würde Frau Krüger ihre letzte Ruhe auf dem Kirchhof ein paar Straßen weiter finden können. Dann könnten wir sie besuchen und hin und wieder eine Blume mitbringen, wenn wir das nächste Mal dem Kirchhof sind. Dann würde sie nicht so schnell vergessen sein.