Friedensforscher: Religionen müssen ihr Friedenspotenzial mehr nutzen

Religionsgemeinschaften könnten mehr Wege aus Sackgassen aufzeigen in ihrer friedenspolitischen Praxis.
Foto: thoroe / photocase.de
Religionsgemeinschaften könnten mehr Wege aus Sackgassen aufzeigen in ihrer friedenspolitischen Praxis.
Friedensforscher: Religionen müssen ihr Friedenspotenzial mehr nutzen
Religionen bergen nach Ansicht des Tübinger Friedensforschers Markus Weingardt große friedensstiftende Kompetenzen. Dieses Potenzial werde insgesamt aber noch zu wenig genutzt, sagte der Wissenschaftler der Stiftung Weltethos dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Ihrem theologischen Anspruch hinken eigentlich alle Religionsgemeinschaften in der friedenspolitischen Praxis weit hinterher." Die Friedensarbeit genieße noch immer ein Nischendasein.

Religionsgemeinschaften müssten sich aktiv in Friedensprozesse einbringen, forderte Weingardt. "Das Besondere ist, dass religiöse Akteure bei Konfliktparteien vielfach einen Vertrauensvorschuss genießen." Das eröffne ihnen gewisse Chancen, die dann sachgerecht genutzt werden müssten, erklärte der Forscher. "Dafür müssen die Vermittler Kenntnisse über die Konflikte sowie Kompetenzen in konstruktiver Konfliktbearbeitung haben und glaubwürdig auftreten." Außerdem sei eine gewisse Verbundenheit mit dem Konflikt nötig, "damit die Konfliktparteien spüren: Der versteht wirklich, wovon er redet."

Ein bekanntes Beispiel für das Friedenswirken von Religionen sei die katholische Gemeinschaft Sant'Egidio, erklärte Weingardt. Erfolgreich vermittelt habe sie etwa im Bürgerkrieg in Mosambik Anfang der 90er Jahre. "Nachdem viele andere, einschließlich der UNO, gescheitert waren, nahm die Gemeinschaft im Zenit des grausamen Bürgerkrieges die Vermittlungstätigkeit auf." Nach zwei Jahren sei der Bürgerkrieg stabil beigelegt worden. "Das zeigt: Auch in hoch eskalierten Konflikten ist gewaltlose Konfliktbearbeitung möglich."

Dennoch nutze auch die Politik das Friedenspotential von Religion noch viel zu wenig, kritisierte Weingardt. "Das gilt für die Konfliktparteien in bestimmten Ländern aber auch für Deutschland oder die EU." Der Forscher beklagte eine große Uninformiertheit: Auch führende Politiker wüssten oft nicht, was konstruktive Konfliktbearbeitung bedeute und leisten könne. "Das ist erschreckend. Sie entscheiden womöglich im Bundestag über Militäreinsatze und haben sich nicht gründlich über die Alternativen informiert."

Außerdem scheue sich die Politik oftmals davor, religiöse Aspekte oder Akteure in Friedensprozesse einzubeziehen, sagte Weingardt: "Religion wird eben doch oft mit Konflikt, Gewalt oder Krieg verbunden - aber das ist ein Zerrbild der Wirklichkeit."