Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, verteidigt politische Stellungnahmen christlicher Kirchen gegen den Vorwurf grenzüberschreitender Einmischung. "Wer fromm ist, muss auch politisch sein", das sei für Theologen wie Martin Luther King (1929-1968) und Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), die sich gegen Rassentrennung in den USA beziehungsweise die NS-Diktatur zur Wehr setzten, unstrittig gewesen, schreibt Bedford-Strohm in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Montag). Bei beiden sei aus heutiger Sicht der politische Einspruch von Christen über jeden Zweifel erhaben. Doch was "im Rückblick häufig höchste Wertschätzung erfährt, ist für die Gegenwart immer wieder umstritten".
"Lieber Verein Kirche, macht Eure Gottesdienste und schweigt zur Politik - solche Stimmen sind kein Einzelfall", schreibt der oberste Repräsentant der deutschen Protestanten. Doch "gerade weil der Gott, an den die Christenmenschen glauben, sich von der Welt nicht ab-, sondern ihr zuwendet, hat das Evangelium stets politische Bedeutung".
Oft werde die Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers (1483-1546) herangezogen, um von den Kirchen politische Zurückhaltung zu fordern. Doch sei es falsch, das geistliche "Reich", in dem der Glaube und das Evangelium gilt, vom weltlichen "Reich", in dem die Vernunft gilt, als zwei voneinander getrennte Bereiche darzustellen. Damit werde Gottes Herrschaft über beide Reiche nicht angemessen erfasst. "Gott regiert im geistlichen Reich, und Gott regiert im weltlichen Reich", schreibt der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm.
Allenfalls sei die Regierweise unterschiedlich, nicht aber die ethische Grundorientierung. Daher sei der Ausdruck "Zwei-Regimenten-Lehre" präziser, schreibt der EKD-Ratsvorsitzende im Jahr des 500. Reformationsjubiläums, in dem an die Veröffentlichung der 95 Lutherschen Thesen im Jahr 1517 erinnert wird.
Nach Ansicht Bedford-Strohms begründet der Reformator sehr wohl politische Positionierungen von Christen, denn die Politik dürfe sich aus Luthers Sicht nicht in Gottes Stuhl setzen. "Das weltliche Regiment hat die Aufgabe, das Recht zu wahren und den Schutz der Schwachen zu garantieren. Wo niemand den Schwachen zum Recht verhilft, setzen sich alleine die Starken durch", schreibt der EKD-Ratsvorsitzende, der entsprechend die politische Rolle der Kirchen mit dem Eintreten für die Schwachen und dem Gebot der Nächstenliebe begründet.
Bedford-Strohm nennt es einen "christlichen Traditionsstrom", "aus der Orientierung an der Option für die Armen heraus Verantwortung für und in der Welt zu übernehmen". Der Vorrang für die Armen werde erst überflüssig, wenn die "Realität einer Welt, in der die Stärkeren sich auf Kosten der Schwächeren durchsetzen, endgültig der Vergangenheit angehört".