Der erste Anschlag ereignete sich bei einem Gottesdienst in der Stadt Tanta im Nildelta, als in der koptischen Mar Girgis Kirche ein Sprengsatz explodierte. Mindestens 27 Menschen kamen ums Leben, wie das Staatsfernsehen unter Berufung auf das Gesundheitsministerium berichtete.
Nur wenig später kam es zu einer weiteren Attacke: Nahe der wichtigen Markuskathedrale in Alexandria sprengste sich den Angaben nach ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss 17 Menschen mit in de Tod, wie die staatliche Zeitung "Al Ahram" berichtete. Koptenpapst Tawadros II., der kurz vor dem Anschlag noch am Gottesdienst teilgenommen haben soll, sei unverletzt, hieß es. Der Attentäter hatte laut Bericht versucht, in die Kirche hineinzukommen, die für die Kopten zu den symbolträchtigsten überhaupt gehört. Zwei Sicherheitskräfte, die sich ihm in den Weg stellten, seien bei der Explosion getötet worden.
Die Zahl der Verletzten lag allein in Tanta bei rund 80, in Alexandria zuletzt laut Gesundheitsministerium bei etwa 40. Zu den Anschlägen eine Woche vor Ostern bekannte sich laut Nachrichtenagentur der Dschihadisten, Amaq, ein Kommando der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
Ägyptische Christen "Lieblingsopfer" des IS
Es sind die wohl tödlichsten Attacken auf Christen in der jüngsten Geschichte Ägyptens. Damit hat es in vier Monaten bereits drei tödliche Bombenanschläge auf Kirchen in Ägypten gegeben. Im Dezember hatte eine Bombe in einer Kirche in Kairo fast 30 Menschen in den Tod gerissen. Dazu bekannte sich später die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Im Februar lösten Morde an sieben Kopten eine Massenflucht christlicher Familien aus dem Nordsinai aus. Die IS-Miliz hatte zuvor in einer Videobotschaft allen ägyptischen Christen den Krieg erklärt und sie als ihre "Lieblingsopfer" verhöhnt.
Der Groß-Imam der Al-Azhar-Moschee, Ahmed Mohammed al-Tayyeb, verurteilte den "feigen" Anschlag auf die "unschuldigen Seelen" beim Gottesdienst. Der Leiter der wichtigsten sunnitisch-islamischen Institution des Landes erklärte zugleich, dieser Terrorangriff sei ein Verbrechen gegen alle Ägypter. Präsident Abdel Fattah al-Sisi telefonierte laut Staatsfernsehen mit Koptenpapst Tawadros II. und drückte ihm sein Beileid aus. Der Sprecher des ägyptischen Außenministeriums erklärte über den Kurznachrichtendienst Twitter: "Auch wenn wir um den tragischen und herzzerreißenden Verlust ägyptischen Lebens trauern, es bleibt ein gescheiterter Anschlag auf unsere Einheit."
Bedford-Strohm "wütend"
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, brachte seine große Betroffenheit und Trauer zum Ausdruck. "Was da passiert ist, macht wütend", erklärte Bedford-Strohm am Sonntag auf seiner Facebook-Seite: "Ich bin im Gebet bei den Opfern dieses fürchterlichen Anschlags." Er "hoffe, dass alle Menschen in Ägypten und überall auf der Welt zusammen helfen, dass der menschenverachtende Fanatismus, der zu solchen Taten führt, endlich überwunden wird", fügte Bedford-Strohm hinzu, der sich zurzeit in den USA aufhält. Er fühle sich mit den koptischen Christen innerlich eng verbunden.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, betonte: "Es waren zugleich Attentate gegen das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen. Diesen Zielen der Verbrecher darf kein Erfolg beschieden sein!" Er erklärte: "Nach allem, was wir wissen, handelte es sich erneut um Anschläge, mit dem die christliche Minderheit in Ägypten eingeschüchtert, demotiviert und zur Emigration getrieben werden soll. Es soll unmittelbar vor dem Besuch von Papst Franziskus Hass gesät werden." Die Gläubigen aus den verschiedenen Religionen und besonders die Verantwortungsträger müssten dem Hass und der Gewalt eine entschiedene Absage erteilen, so der Münchner Erzbischof.
Der Weltkirchenrat verurteilte die Anschläge aufs Schärfste. Der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), der Norweger Olav Fykse Tveit, nannte die Terrorakte auf unschuldige Gottesdienstbesucher am Palmsonntag "bösartig". Angesichts dieser Brutalität müssten alle Menschen guten Willens und alle Gläubigen zusammenstehen um sich "gegenseitig zu schützen und um solche Gewalt künftig zu verhindern". Tveit rief Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi sowie die religiösen Führer des Landes dazu auf, die fundamentalen religiösen Rechte für Angehörige aller Glaubensrichtungen zu garantieren. Entsprechende Anstrengungen von Seiten der Regierung müssten begleitet werden von einer Solidarität zwischen Muslimen und Christen sowie anderen religiösen Gruppen, fügte Tveit in Genf hinzu.
Bundesregierung entsetzt
Die Bundesregierung reagierte entsetzt. "Wir trauern mit den Menschen in Ägypten, mit den Angehörigen der Opfer, wir bangen mit den Verletzten", erklärte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) in Berlin: "Die Hintergründe des Anschlags müssen jetzt aufgeklärt, die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Das Kalkül der Täter, einen Keil in das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen zu treiben, darf nicht aufgehen." Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte: "Dass eine solche Tat Menschen in Ausübung ihrer Religion während des Gottesdienstbesuches am Palmsonntag trifft, empört mich besonders. Mein tiefes Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Angehörigen, meine Wut den Tätern." Der Terror treffe nicht nur Europa, deswegen dürfe auch die Zusammenarbeit weder an Landes- noch an Kontinentalgrenzen halt machen, fügte de Maizière hinzu: "Wir dürfen unsere Gesellschaften nicht spalten lassen, schon gar nicht entlang unterschiedlicher religiöser Überzeugungen!" Volker Kauder, Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, drückte den koptischen Christen Anteilnahme und Solidarität aus. "Dass sich die Täter den christlichen Palmsonntag, den Beginn der Karwoche, als Zeitpunkt der Tat ausgesucht haben, steigert den Schock über diese feige Tat noch mehr. Wir erwarten von der ägyptischen Regierung, dass sie alles tut, um die koptischen Christen zu schützen", fügte er hinzu. Dieser zweite Anschlag auf Ägyptens koptische Minderheit innerhalb von sechs Monaten sei auch ein Anschlag auf die traditionelle religiöse Vielfalt im Nahen Osten, "für deren Fortbestand wir uns einsetzen". Im März hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Ägyptenreise mit dem Koptenpapst Tawadros II. getroffen.
Heribert Hirte, Vorsitzender des Stephanuskreises der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verbreitete eine Stellungnahme, in der er die tödlichen Anschläge verurteilt. Weiter heißt es darin wörtlich: "Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer und selbstverständlich auch bei allen, die dieser Anschlag noch tiefer in Angst und Schrecken versetzt hat. In Deutschland warten einige Kopten bisher vergeblich auf Asyl. Dieser Anschlag zeigt mir, dass deren Anträge noch einmal genauer geprüft werden müssten. Bisher habe ich von vielen Seiten die Information, dass sich die Lage für religiöse Minderheiten in Ägypten in den vergangenen Jahren durchaus entspannt hatte. Aber mich erreichen zuletzt auch anders lautende Meldungen, die wir im Stephanuskreis der CDU/CSU-Bundestagsfraktion genauer prüfen. Von wahrer Religionsfreiheit kann für die Christen vor Ort unter diesen Voraussetzung wirklich keine Rede sein!“
Steinmeier betet für Opfer
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier brachte seine Solidarität mit den koptischen Christen zum Ausdruck: "Erneut sind koptische Christen in Ägypten Opfer von Anschlägen in ihren Kirchen geworden. Während sie friedlich am Palmsonntag Gottesdienst feierten, wurden sie feige ermordet", erklärte Steinmeier laut einer Mitteilung des Bundespräsidialamtes in Berlin. "In Gedanken und im Gebet bin ich bei den Angehörigen der Opfer", fügte Steinmeier hinzu: "Den Verletzten wünsche ich eine vollständige Genesung und Papst Tawadros die Kraft, seiner Glaubensgemeinde Trost spenden zu können." Tawadros II. ist das Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche, die bereits sei dem ersten Jahrhundert nach Christus existiert. Sie gehört damit zu den ältesten Kirchen.
Ende April wird Papst Franziskus in Kairo erwartet. Er bete für die Opfer und die Verletzten, sagte er am Sonntag beim Angelusgebet auf dem römischen Petersplatz. Der koptischen Kirche, ihrem Oberhaupt und der gesamten ägyptischen Bevölkerung drückte er seine Anteilnahme aus. "Möge der Herr das Herz der Menschen, die Terror, Gewalt und Tod säen, bekehren und auch das Herz derer, die Waffenhandel betreiben."
Die meisten Ägypter sind sunnitische Muslime. Christen stellen in dem nordafrikanischen Land mit rund neun Millionen Gläubigen zehn Prozent der Bevölkerung - fast alle sind Kopten. Zu den schwersten Angriffen auf die Minderheit gehören auch der Bombenanschlag auf eine Kirche in der Neujahrsnacht 2011 in Alexandria mit rund 20 Toten und zehn Monate später Ausschreitungen zwischen Kopten und Muslimen in Kairo mit 26 Toten. Nach dem Sturz des demokratisch gewählten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi im Sommer 2013, ließen zahlreiche seiner Anhänger ihre Wut an christlichen Einrichtungen aus - viele Schulen, Krankenhäuser und Kirchen brannten.
Der christliche Gründervater Markus soll den Kopten einer Legende nach ihren Glauben persönlich überbracht haben, als er um 60 nach Christus nach Alexandria kam. Am Platz des einstigen Hauses eines Schusters, den er bekehrt haben soll, wurde der Überlieferung nach die erste koptische Kirche errichtet. Sie stand dort, wo die von dem Selbstmordattentäter am Sonntag angegriffene Markuskathedrale heute steht.