Die Lage rund um Ost-Aleppo in Syrien hat sich am Freitag dramatisch verschärft. Das syrische Regime setzte die vereinbarte Evakuierung nach 24 Stunden aus. Humanitäre Helfer der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Roten Kreuzes hätten das Gebiet verlassen müssen, teilte die WHO-Repräsentantin in Damaskus, Elizabeth Hoff, mit. Bundespräsident Joachim Gauck warf den internationalen Institutionen Versagen im Syrien-Krieg vor. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beklagte eine Lähmung des UN-Sicherheitsrats.
Die syrischen Behörden und Truppen nannten keine Gründe für den Stopp der Evakuierung. Nach Angaben des britischen Senders BBC konnten seit Donnerstag etwa 6.000 Menschen die ehemalige Rebellenhochburg Ost-Aleppo verlassen. Die Vereinten Nationen schätzen, dass aber noch immer rund 50.000 Menschen in den Ruinen ausharren. Laut Medienberichten wirft das Regime des Machthabers Baschar al-Assad den Rebellen vor, die Bedingungen für die Feuerpause und die Evakuierung gebrochen zu haben. Es hieß, Fahrzeuge, die Menschen in Sicherheit bringen sollten, seien beschossen worden.
"Wie kläglich Mechanismen der internationalen Ordnung versagen"
Zuvor hatte das Rote Kreuz betont, der Abzug der Zivilisten und Rebellen könnte Tage dauern. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und der Syrisch-Arabische Rote Halbmond waren federführend bei der Evakuierung. Laut WHO sind die Krankenhäuser im Westen Aleppos überfüllt mit Verletzten und Kranken aus dem Ostteil der Stadt, um die wochenlang eine Schlacht tobte.
Misereor unterstützt eine Klinik in Aleppo mit 280.000 Euro. Die von Jesuiten betriebene Klinik liege nahe an Ost-Aleppo und habe ein Einzugsgebiet von 12.000 Menschen, erklärte das katholische Hilfswerk. Dort würden Schwangere, Neugeborene und chronisch Kranke versorgt. Auch Teams von "Ärzte ohne Grenzen" begannen, Verwundete und Kranke aus Ost-Aleppo zu behandeln.
Die Situation in Aleppo löste weltweit Empörung aus. Auf Antrag Frankreichs sollte noch am Freitag der UN-Sicherheitsrat in New York zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. Bundespräsident Joachim Gauck sagte zum Syrien-Konflikt, die Menschheit sei damit konfrontiert, "wie kläglich Mechanismen der internationalen Ordnung versagen". Zivilisten würden massakriert, verletzt und vertrieben. Wer Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie in Syrien begangen habe, müsse sich für seine Taten verantworten, sagte er dem Berliner "Tagesspiegel" (Freitagsausgabe).
Nach dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Vereinten Nationen handlungsfähiger zu machen. Für die Lage in Aleppo machte sie neben dem syrischen Regime insbesondere seine Verbündeten Russland und Iran verantwortlich. In der Abschlusserklärung des Gipfels hieß es: "Der Europäische Rat verurteilt nachdrücklich den anhaltenden Sturmangriff auf Aleppo durch das syrische Regime und seine Verbündeten, insbesondere Russland und Iran, einschließlich der gezielten Angriffe auf Zivilpersonen und Krankenhäuser."
Russland hat das syrische Regime mit Luftangriffen unterstützt und mehrfach Resolutionen im UN-Sicherheitsrat gegen den syrischen Machthaber Assad blockiert. Das syrische Regime erklärte zur Einnahme Ost-Aleppos, die Stadt sei nun gänzlich von Terroristen befreit. US-Außenminister John Kerry dagegen prangerte die "wilde Brutalität" des Assad-Regimes, Russlands und iranischer Einheiten gegen Zivilsten an.
Der hannoversche evangelische Landesbischof Ralf Meister beklagte ein kollektives Versagen der Weltgemeinschaft. "In den Medien sehen wir fast apokalyptische Bilder einer beinahe vollständig zerstörten Stadt, durch deren kaputte Straßen Menschen irren, die versuchen, ihr Leben zu retten", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Diese Bilder haben für mich einen endzeitlichen Charakter."