Wissenschaftler: Luthers Einfluss auf Kirchenmusik wird überschätzt

Wissenschaftler: Luthers Einfluss auf Kirchenmusik wird überschätzt
Der Freiburger Musikwissenschaftler Konrad Küster hält den Einfluss Martin Luthers (1483-1546) auf die Kirchenmusik für überschätzt.

Wesentlich beeinflusst seien die Lieder in evangelisch-lutherischen Gottesdiensten vor allem durch italienische Musik und norddeutsche Orgelmusik, sagte Küster am Dienstag bei der Präsentation neuer Forschungsergebnisse in Hamburg. In seinem Werk "Musik im Namen Luthers" hat Küster zum Reformationsjubiläum 2017 die 500-jährige Kulturgeschichte der evangelischen Kirchenmusik dargestellt.

Luther habe für die neue Form des Gottesdienstes keine Veränderung der musikalischen Gestaltung vorgesehen, betonte Küster. Überliefert ist sein Zitat von 1523: "Das gesenge yn den sontags messen und vesper laß man bleyben, den sie sind fast gutt." Gemeindelieder seien zu Luthers Zeit gar nicht vorgesehen gewesen, doch habe man die Gottesdienstbesucher angehalten, die Psalmgesänge nach besten Kräften mitzusingen. Das populäre Reformationslied "Ein feste Burg" sei ein solcher Psalmgesang, der aber auch zu Hause gesungen werden sollte.



Schon vor Luther hatte sich die norddeutsche Orgelmusik vor allem an den Küsten im heutigen Schleswig-Holstein und Niedersachsen entwickelt. Für die Entfaltung dieser Musiktradition nach der Reformation war es aus Sicht Küsters ein Segen, dass der norddeutsche Reformator Johannes Bugenhagen (1485-1558) keine Bedenken dagegen hatte. Dadurch habe sie eine kreative Dynamik entwickelt und die Kirchenmusik in ganz Deutschland nachhaltig beeinflusst. Eine solch prägende Kraft habe sich dagegen in Thüringen und Sachsen aufgrund kirchlicher Vorbehalten gegen die Orgelmusik nicht entwickeln können.

Ebenso prägend für die lutherische Kirchenmusik sei im 17. Jahrhundert die italienische Oper mit ihren eingängigen Melodien gewesen, sagte Küster. Es werde zuweilen vergessen, dass die lutherische Kirchenmusik maßgeblich von der Musik aus Ländern der Gegenreformation beeinflusst worden sei.